München – „Hallo Herr Klein, hätten Sie Lust, eine Biografie über Hansi Flick zu schreiben?“, so lautete die Anfrage des Münchner Riva-Verlags, die vergangenen Herbst ins Mailfach einlief. Bücher über Menschen aus dem Sport erleben seit ein paar Jahren einen Boom – verständlich, dass nun auch einer bemerkt wurde, der übersehen worden war, obwohl er immer dazugehört hatte. Nach der Triple-Saison mit dem FC Bayern war Hansi Flick auf einmal die große Trainernummer. Und man hörte von vielen, die keine Anhänger des FC Bayern sind, dass sie zumindest dem Hansi den Erfolg gegönnt hätten.
Aber würde sein Leben ein Buch tragen? Oder ist nicht einfach viel zu wenig passiert an Krisen, Brüchen, Schicksalhaftigkeiten, die eine Biografie neben dem Erfolg ja erst rechtfertigen? Gespräche mit Leuten, die ihn gut und lange kennen. Sie sagen: Interessante Persönlichkeit, interessantes Thema. Wie kommt’s, dass einer offensichtlich wahnsinnig viel auf dem Kasten hat, aber keiner davon wissen will? Hansi Flick saß nie in einer Fernsehtalkshow. Er lebte in der zweiten Reihe. Bis zum November 2019, als er bei den Bayern aufstieg. Doch hatte sich das nicht irgendwie angedeutet? Warum flog er so lange unter dem Radar? Und hat wenigstens er selbst gewusst und haben es die Leute um ihn herum gespürt, dass da noch was Großes kommen würde mitten in seinem Lebensjahrzehnt als mittlerweile Opa? Ja, es gab einen Anlass für ein Buch über Hansi Flick – und es waren nicht nur diese rauschenden Monate, in denen er alle paar Spiele einen Titel einsammelte und anschließend die zugehörige Trophäe im FC-Bayern-Museum ablieferte.
Wie würde Flick selbst zu einem Projekt Biografie stehen? Kontaktaufnahme, wir kennen uns seit vierzehn Jahren. Er ruft an und sagt: Das sei zu früh, er habe ja noch was vor. Er verstehe aber, dass nun Bedarf bestehe an Information über sein Leben, seine Karriere. Er werde niemandem aus seinem Umfeld verbieten, über ihn zu erzählen. Wir machen einen noch Irgendwann-Bundestrainer-Scherz und lachen.
Recherche, eine Reise dorthin, woher Hansi Flick stammt: Mückenloch, Bammental, kleine Gemeinden im Kraichgau. In Bammental wohnt er, immer noch findet man dort den Wegweiser zu „Hansi Flick Sport und Freizeit“, dem Laden, den er und seine Familie bis 2017 betrieben. Man beginnt, sein Wesen zu verstehen. Spricht mit seinem ersten Freund vom Bolzplatz, mit dem er heute noch chattet, manchmal auch an Champions-League-Tagen. Die zwei Welten des Hansi Flick finden zusammen.
Schnell wurde klar: Sein Leben bietet genügend Buchstoff. Es ist schon interessant, wie es einer vom Dorf schafft, in die Jugendnationalmannschaft aufzusteigen und wie ihn in der Oberliga Baden-Württemberg dann der FC Bayern entdeckt. Wie der Spieler Flick unter dem Trainer Jupp Heynckes häufig Beschwerde führt über seine zu geringfügige Rolle und am Ende – wir erleben derzeit, 2021, also keine Premiere – seinen Vertrag in München kündigt. Danach folgte der 1. FC Köln, die Invalidität, das neue Leben als Trainer: Bammental, Hoffenheim. als es noch Regionalliga spielte und Dietmar Hopps Zuwendung darin bestand, dass Spieler Halbtagsjobs bei der SAP bekamen. Dann: kurz Salzburg, elf Jahre DFB. Schließlich noch die Episode Hoffenheim 2017/18, wo man in Flick den Eindringling sah und Geschäftsführer Peter Görlich gegen ihn arbeitete. War es damals so ähnlich wie jetzt bei den Bayern?
Hansi Flick ist kein Streit-Mensch. Das sagen alle. Ehrgeizig ohne Ende, aber nie beleidigend, Gespräch mit Thomas Hitzlsperger. Er war Nationalspieler unter dem Co-Trainer Flick und wollte ihn 2018 als Nachwuchscheftrainer zum VfB Stuttgart holen. Hitzlsperger sagt, das Bemerkenswerte an der Flick-Story sei, dass jetzt endlich ein Trainer auf höchstem Niveau Erfolg habe, „der keinen Schlag hat“. Er muss selbst lachen über die Formulierung. Aber ja, das ist die Geschichte: Einer, der mit Menschlichkeit agiert, mit Vernunft. Jürgen Klopp nannte sich „The Normal One“, Hansi Flick ist es.
Frage halt nur: Kann man es bleiben in diesem Umfeld des Bundesliga-Fußballs und speziell des FC Bayern? Die Geschichte hat ungeahnte Dynamik entwickelt in den letzten Wochen. Wobei Friedbert Ohlheiser, dem Fußballchef des FC Bammental, wo Hansi Flick neulich erst das neue Clubhaus besichtigte, schon im Dezember „seine ernst gewordenen Gesichtszüge“ auffielen. Dieser Tage sagte Ohlheiser, der großer Bayern-Fan ist, über die Bayern: „Da stellt sich mancher Amateurverein professioneller an.“
Wenn man sich ein paar Monate in Hansi Flicks Leben eingearbeitet hat, wird einem verständlich, warum Flick den Ausweg sucht. Und man nimmt in Flicks Interview-Auftritt in Wolfsburg vor allem die Erleichterung wahr, dass er für sich eine Entscheidung getroffen hat. Einer von Flicks engen Freunden schreibt spontan eine WhatsApp-Nachricht: „So ist er, der Hansi. Geradlinig, konsequent.“ Gleichwohl: Verlieren wird auch er vom Glorienschein, es werden manche auch Berechnung in seinem Handeln vermuten.
Über diese wohl letzte Phase bei den Bayern könnte man noch ein Kapitel anhängen. Es würde „Konfli(c)kt“ heißen.