München – „Mein Herz schlägt schneller als deins“ – dieser Refrain aus dem Hit „Auf anderen Wegen“ von Andreas Bourani ist für Katharina Bauer keine Trauerverarbeitung einer unerfüllten Liebe, sondern medizinische Realität. Und zwar seit ihrer Geburt. Als Kleinkind schlug ihr Herz „nur“ bis zu 6000 Mal öfters als bei gesunden Menschen pro Tag. Ungewöhnlich, aber behandelbar. Doch je älter die Profisportlerin wurde, desto mehr Extraschläge wurden es am Tag. In der Spitze bis zu 18 000. Akute Lebensgefahr.
Im Interview mit unserer Zeitung erklärt die 30-Jährige, wie sie es mit einer 130 Gramm schweren Lebensversicherung in ihrem Körper schafft, trotzdem den Traum von den Olympischen Spielen zu leben.
Frau Bauer, Olympia wackelt wieder. Gehen Sie davon aus, dass die Spiele stattfinden?
Mir ist nichts anderes bekannt. Wirklich sicher sein kann man allerdings erst, wenn man leibhaftig vor Ort im Stadion steht. Erst recht bei den aktuellen Nachrichten von der vierten Welle in Asien.
Lassen Sie diese Nachrichten unruhig schlafen?
Nach der Erfahrung mit der Absage aus dem letzten Jahr mache ich mir darüber nicht mehr so viele Gedanken. Das hat letzten Sommer unglaublich viel Kraft gekostet. Jetzt konzentriere mich auf Sachen, die ich beeinflussen kann. Das sind meine Form sowie die Qualifikationswettkämpfe, die nun starten. Und selbst falls Sie Spiele zwei Tage vorher abgesagt werden: Mein Sportlerleben geht trotzdem weiter. Dann nur erst mal mit anderen Zielen.
Wie stehen Sie Ihre Chancen für die Qualifikation?
Meine Form fühlt sich gerade sehr, sehr gut an. Um die Höhe im Wettkampf zu springen, muss jedoch Einiges zusammen kommen. Wie zum Beispiel das passende Wetter. Für mich persönlich kann ich aber sagen: Meine Hausaufgaben habe ich erledigt.
Sind Sie als potenzielle Olympionikin geimpft?
Ja – aber nicht als mögliche Olympiateilnehmerin, sondern aufgrund meiner Herzerkrankung. Letzte Woche habe den ersten Piks mit Biontech erhalten. Ohne Nebenwirkungen. Lediglich der Arm hat ein wenig wehgetan. Ich konnte einen Tag nicht mit Stab springen. Mehr nicht.
Seit 2018 tragen Sie unter dem Latissimusmuskel einen Defibrillator. Wie kam es zu diesem Entschluss?
In einer ersten OP wurden die Extraschläge verödet. Das hat jedoch nur ein halbes Jahr funktioniert. Die Ärzte sahen danach nur noch eine Chance, indem sie mir einen Defibrillator einsetzen. Unabhängig vom Leistungssport. Wenn ich weiterleben wollte, gäbe es keine Alternative. Bei solchen Aussichten zögert man nicht mehr.
Allerdings dürfen Sie keinen Rasenmäher mehr benutzen.
Auch keine Bohrmaschine. Ich muss mich von Geräten mit Magnetspulen und Strom fernhalten. Ich habe so ein Heftchen bekommen, in dem ich nachlesen kann, was ich darf und was nicht. Das Handy muss ich entsprechend weit vom Defibrillator weghalten oder auf der anderen Seite telefonieren. Im Supermarkt darf ich nicht zwischen den Sicherheitsschranken stehen bleiben. Damit kann ich leben.
Leistungssport und Defibrillator scheinen sich dagegen zu vertragen.
Richtig. Davon war allerdings nicht auszugehen. Viele Ärzte haben mir schonend versucht beizubringen, dass der Sport nach dem Einsetzen nicht mehr möglich sei. In der Zeit habe ich mich viel mit Selbstheilungskräften beschäftigt. Meine Mutter konnte mir als Mentaltrainerin ebenfalls enorm helfen. Das nächste EKG zeigte dann nur noch 2800 Extraschläge an.
Und seitdem keine Zwischenfälle?
Der Defibrillator ist noch nicht einmal angegangen. Egal ob bei einem extrem anstrengenden Training oder vor einer Fernsehsendung. Wobei: Einmal ist er aus Versehen angesprungen.
Aus Versehen?
Bei einer Physiobehandlung mit Strom. Der Defibrillator dachte, ich hätte Kammernfilter. Der Strom kam jedoch von der Behandlung. Da wurde ich wach wiederbelebt. Eine Erfahrung, die ich nicht noch einmal machen muss. Das waren unglaubliche Schmerzen. Normalerweise springt der Defibrillator an, man fällt in Ohnmacht, wird wiederbelebt und wacht wieder auf. Das ist der übliche Verlauf.
Mit einem Schrittmacher hat das nichts zu tun?
Oh nein. Ein Schrittmacher ist dauernd aktiv. Bei mir führt die Elektrode am Herzen vorbei, nicht hinein. Der Defibrillator springt an, wenn akute Lebensgefahr besteht. Er ist wie eine Lebensversicherung im Ruhemodus.
In Ihrem Buch schreiben Sie, wie Yoga Ihnen beim Comeback geholfen hat. Es richtet sich aber nicht nur an Profisportler, oder?
Nein, überhaupt nicht. Mir hat Yoga sehr geholfen, um innerlich zur Ruhe zu kommen. So konnte ich auch die Herzschläge reduzieren. Im Training benutze ich Yoga zur Regeneration. Aber jeder, der sich gestresst fühlt – sei es privat oder durch beruflichen Stress – kann dank Yoga mehr zu sich finden. Wir werden mit so vielen Informationen vom Aufstehen an zugeschüttet. Regelmäßiges Yoga kann helfen, diese Informationen besser zu verarbeiten und bewusster zu leben.
Interview: Daniel Müksch