Da es um eine etwas schmerzliche, nicht zuletzt von Fußball-Nostalgie tief durchtränkte Angelegenheit geht, zunächst eine persönliche Anmerkung. Der Autor dieser Zeilen (Jahrgang ’58) sah sein erstes Bundesligaspiel des FC Bayern im Januar 1970, zu Gast im Grünwalder Stadion war der 1. FC Kaiserslautern. Auf dem tiefen Schneeboden lief nicht viel zusammen, zur Halbzeit stand es 0:1, das einzige Bayern-Tor erzielte: Gerd Müller. Mit dem Rücken zum Tor angelte er sich den Ball, Drehschuss aus acht Metern – und drin war er zum Endstand von 1:1. Mein Abenteuer Fußball begann also mit einem – wie man damals schon sagte – typischen Müller-Tor. Und es entsprach auch so ganz dem Schlager, in dem er mit hölzernem Sprechgesang sein Lebensmotto vortrug: „Da macht es bumm, es fällt ein Tor…“
Ja, das war seine ganz große Sache: Tore schießen. So viele wie kein anderer in seiner Zeit. Wir wuchsen mit seinen Toren auf. Mit den Spielen, in denen es müllerte. Gerd Müller war der Inbegriff des Stürmers, der jene Glücksmomente garantierte, in denen das Runde ins Eckige rauscht. Zur Chiffre für sein einzigartiges Talent wurde 1972 die 40. Der Bundesliga-Torrekord, der unantastbar galt. Die Marke für die Ewigkeit, die jeden Fußballfan aus jener Zeit durchs Leben begleitete. Fast ein halbes Jahrhundert lang.
Wobei anzumerken ist, dass die Müller-Tore nicht nur für den FC Bayern waren, sondern – wenn man es so will – fürs ganze Fußballvolk. Er war ja der „Bomber der Nation“, der die damals uneingeschränkt verehrte deutsche Nationalmannschaft zu großen Erfolgen schoss. Seinen Durchbruch als Weltstar schaffte der Mann mit dem sogenannten Torriecher anno 1970, als er für den im Halbfinale (3:4 n. V. gegen Italien) einmalig spektakulär gescheiterten WM-Dritten sage und schreibe zehn Treffer in nur sechs WM-Partien erzielte.
Dabei war Müller nicht unbedingt üppig mit fußballerischem Talent gesegnet. Er war kein besonderer Dribbler, nicht schnell, nicht konditionsstark, im Kopfballspiel war er nur in Brusthöhe erfolgreich. Und dennoch fürchtete ihn die Fußballwelt wie keinen anderen. Denn Müller verfügte über die Gabe, im Strafraum auf engstem Raum und unter schärfster Bewachung den Ball unter Kontrolle zu bringen, um ihn dann mittels blitzschneller, reflexartiger Schussbewegung irgendwie ins Tor zu jagen – bzw. zu bugsieren. Müller-Tore waren nur selten schön, aber oft unheimlich wichtig.
Und nun also ist davon auszugehen, dass Robert Lewandowski – ein Angreifer, der so ziemlich alles kann – die magische 40 übertreffen wird. Gleichgezogen hat der vortreffliche Pole schon, am 34. Spieltag wird er wohl den neuen Bestwert setzen. Eine bittere Vorstellung für alle Fußball-Romantiker. Aber es gibt doch auch Trost. Müllers 365 Bundesligatore werden auch vom großartigen Lewandowski (276) nicht zu übertreffen sein. Und einzigartig, so viel ist sicher, wird der Gerd ohnehin bleiben. Dafür braucht er keinen Rekord.
Armin.Gibis@ovb.net