München – Wer von Franz Beckenbauer ein Autogramm aus den 1970er-Jahren hat – kann gut sein, dass es ein echter Zobel ist. Rainer Zobel teilte sich auf Auswärtsfahrten mit Beckenbauer das Doppelzimmer, er war künstlerisch begabt, machte die Unterschriften von anderen nach; selbst Beckenbauer konnte keinen Unterschied erkennen. Und so kam es, dass der Kaiser, der Star des FC Bayern, nach Entdeckung von Zobels Fähigkeiten die Bearbeitungszeit für Autogrammwünsche, bis dahin bei ihm zwei Jahre, verkürzen konnte. Das ist eine der Geschichten aus dem Buch „Zobel. Glückskind des Fußballs“, das der Hörfunkreporter Albrecht Breitschuh in Zusammenarbeit mit dem Protagonisten geschrieben hat (Arete-Verlag, 18 Euro).
Zobel gehörte zur großen Mannschaft des FC Bayern, die dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister gewann. Er war kein Nationalspieler, was aber vor allem daran lag, dass er dem 1973 an ihm interessierten Bundestrainer Helmut Schön beschied, dass es ihm wichtiger sei, das Abitur zu machen. Mit 22 als Bayern-Profi ging Rainer Zobel, der Niedersachse, in München nämlich noch mal für drei Jahre zur Schule, aufs private Nymphenburger-Gymnasium. Für die „Bild“-Zeitung posierte er mit Schultüte. Er konnte tagsüber nicht zum Training gehen, dennoch war er im Team der Bayern gesetzt.
Udo Lattek, der Trainer, früher beim DFB gewesen, kannte ihn aus der Jugend-Nationalmannschaft, hatte ihn 1968 zu Hannover 96 vermittelt und 1970 nach München geholt. Er schätzte an Zobel, dass dieser ungemein laufstark war – und das als starker Raucher. Athletisches Naturtalent: Im Dante-Stadion lief er im Sportunterricht seiner Schule die 100 Meter in 11,0 Sekunden und sprang 6,70 Meter weit. Man beschrieb ihn im Fußball als „Mann, der selten glänzte, aber anderen zu Glanz verhalf“. Nach anfänglichen Zurechtweisungen durch Gerd Müller und Franz Beckenbauer, die ihm erklärten, dass sie für Tore und Spielkunst zuständig wären, fand er seine Rolle im Mittelfeld. 1976 verlängerten die Bayern den Vertrag nicht, blockierten durch Ablöseforderungen aber einen Wechsel Zobels. Der ließ sich aus Trotz reamateurisieren. Mit 27. Er kickte für 800 Mark monatlich beim Lüneburger SK, nahm ein Jurastudium auf und legte zweimal in der Woche in der Disco in seinem Heimatort Uelzen Platten auf.
Als Jura-Altsemester ging Zobel mit knapp 40 von der Uni ab. Er entdeckte seine Leidenschaft, Trainer zu sein. Er hatte zunächst Erfolge: Als Co-Trainer mit Braunschweig Aufstieg in die 2. Liga, als Chef mit den Stuttgarter Kickers in die Bundesliga, er gewann 4:1 bei den Bayern, die daraufhin Jupp Heynckes entließen (1991). Doch er stieg mit den Kickers ab, später auch mit dem 1. FC Nürnberg (als Leidtragender von Thomas Helmers Phantomtor in München), dazwischen wurde er in Kaiserslautern nach einer Saison entlassen. Mit der Zeit galt er dann als Trainer, dem Misserfolg anhaftet. Wechsel ins Ausland: Mit al-Ahly Kairo drei ägyptische Meisterschaften. Er war so populär, dass Fans ihn, sobald er das Haus verließ, durch die Straßen begleiteten und seinen Namen sangen. Zobel arbeitete für weitere ägyptische Clubs, in den Emiraten, in Iran und Georgien. 2008, als Trainer von Dinamo Tiflis, geriet er in den Kaukasus-Konflikt, mit neun ausländischen Spielern flüchtete er, als die Einschläge sich näherten, nach Armenien, nach Eriwan. Weil Zobel immer ein Bündel US-Dollar bei sich trug, konnte er einen Kleinbus chartern und mit Schmiergeld seine Spieler über die Grenze bringen. Heute, mit 71, ist er noch immer im Geschäft. Aber auf sicherem Terrain: Teammanager in Lüneburg.
Rainer Zobel machte nie etwas aus Zwängen heraus, sondern aus Interesse. Deswegen glaubt Autor Breitschuh, „ein glückliches Fußballleben“ beschreiben zu dürfen. Auch die sportlich erfüllende Zeit in München bereicherte Zobel um die Aspekte des (Er-)Lebens. Er gehörte zum Freundeskreis des in Nymphenburg wohnenden Schlagerstars Roy Black, der privat lieber Lieder von Alice Cooper vortrug. Er verkehrte in der Disco „Kinki“, die – wenn er getrunken hatte – Zobels Heimfahrt durch diskrete Polizeibeamte (einer durfte dann seinen Porsche 911 steuern) arrangierte.
Vom FC Bayern wurde er Jahrzehnte danach wieder angefordert. Wenn bei Meisterfeiern je ein Spieler ein erfolgreiches Team repräsentieren soll, ist er für 1974 gefragt. Er wurde zur Einkleidung zum „Hirmer“ gebeten und erhielt einen dieser markanten roten Trachtenjanker.
Angerufen hatte jemand, der sich als „Legendenbeauftragter des FC Bayern“ vorstellte. Was für Jobs es gibt! Rainer Zobel musste lachen. Wie so oft.