Der „Rote Baron“ aus Südtirol

von Redaktion

Jannik Sinner, 19, gilt als künftige Nr. 1 der Welt – Was macht ihn so stark?

VON DANIEL MÜKSCH

München – Steht ein Tennis-Talent an der Schwelle zum großen Durchbruch, sind sich die Experten oft nicht einig, wo die eigentliche Stärke des Aufsteigers liegt. Dafür hat man oft noch nicht genügend Matches des Newcomers gegen die Platzhirsche gesehen. Bei Jannik Sinner ist es anders. Egal wen man nach dem 19-Jährigen fragt, die Antworten zielen alle auf eine konkrete Fähigkeit. Natürlich hat er technisch-taktisch fast jeden Schlag im Repertoire, aber das Besondere an diesem jungen Italiener aus Südtirol? Seine mentale Stärke.

Für Boris Becker steht fest: „Für mich ist er mindestens ein zukünftiger Top-Ten-Spieler. Es beeindruckt mich, wie klar er in seinem Alter im Kopf ist.“ In seiner italienischen Heimat wird Sinner nicht nur aufgrund seiner roten Haare mit der deutschen Tennislegende verglichen. „Roter Baron“ lautet Sinners Spitzname in den italienischen Medien.

2019 gewann der Profi aus Innichen im Pustertal als bisher jüngster und am niedrigsten platzierter Spieler die Next Gen ATP Finals der besten Spieler unter 21 Jahre. Aktuell steht er auf Position 19. Die von Becker prognostizierten Top 10 sind bereits in Sichtweite. 2021 konnte er das ATP-Turnier Anfang des Jahres in Melbourne gewinnen. Woher kommt diese (mentale) Stärke des Senkrechtstarters auf dem Tennisplatz? Dafür muss man eben diesen Tennisplatz verlassen und sich auf Ski-Pisten begeben.

Im Internet findet man zahlreiche Videos, in denen rast der junge Sinner im Riesenslalom durch die Tore auf den Hängen Südtirols. Sequenzen, die man von vielen Sportlern findet, die nahe der Berge aufwachsen. Auch von Bastian Schweinsteiger gibt es solche Filmchen. Doch derart erfolgreich wie Sinner als Kind auf den Brettern waren die wenigsten.

2008 wurde er italienischer Meister im Riesenslalom. Vier Jahre später Vizemeister. In dieser Zeit spielte er für ein Jahr gar kein Tennis. Danach maximal zweimal die Woche. Ein Pensum, bei dem den Ausbildern in den nationalen Verbänden vor Schreck der Schläger aus der Hand fällt. Aber Sinner lernt auf den Pisten die Wettkampfhärte, die es braucht, um im Kampf gegen die Konkurrenz, aber auch gegen sich selbst, zu bestehen.

Vater Hanspeter ist jedoch ein passionierter Tennisspieler und nimmt seinen Sohn immer wieder mit auf den Platz. Und das Allroundtalent gewinnt schnell so gut wie jedes Turnier in Norditalien. Hier gehen ihm schnell die Gegner aus. Mit den Erfolgen wird die Leidenschaft in dem Teenager geweckt. „Beim Skifahren ist es so: Wenn du in Südtirol gut bist, dann bist du auch in ganz Italien und sogar weltweit ziemlich gut. Beim Tennis ist es eigentlich komplett das Gegenteil“, erzählte Sinner einmal.

Auf den Dauersieger wird Trainerlegende Riccardo Piatti aufmerksam, der bereits Novak Djokovic als jungen Mann trainiert hat. Sinner zieht in dessen Akademie nach Bordi-ghera an der ligurischen Küste. Noch heute verbringt der 19-Jährige dort große Teile des Jahres.

War Sinner letztes Jahr bei den French Open noch ein Geheimfavorit, steht er 2021 schon wie selbstverständlich im Kreise der Anwärter auf den Titel.

Vergangenes Jahr scheiterte er am French-Open-König Rafael Nadal im Viertelfinale. Konnte eine Runde zuvor Alexander Zverev bezwingen. Der damals besiegte Zverev blickt ein wenig neidisch auf den aktuellen Karriere-Status seines Kollegen: „In Janniks Phase erwartet niemand was von dir. Du kannst dich nur auf Tennis konzentrieren“, sagte die deutsche Nummer 1 vor kurzen zu unserer Zeitung und warnt, „schwierig wird es erst für den Kopf, wenn der Druck von außen immer größer wird.“ Doch genau hier scheint die große Stärke des geborenen Wettkämpfers aus Südtirol zu liegen.

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