Frankfurt/München – Vermutlich war es in Zeiten der Corona-Pandemie unvermeidlich, dass das aus der Frankfurter Verbandszentrale versandte Gruppenbild ein bisschen steif aussah. Hansi Flick, der künftige Bundestrainer, und Oliver Bierhoff, der mächtige DFB-Direktor, saßen vor den unterschriftsreifen Verträgen, während sich Stephan Osnabrügge, der umstrittene Schatzmeister, Peter Peters und Rainer Koch, die beiden Interimspräsidenten, im Hintergrund aufstellten. Alle hielten ausreichend Abstand voneinander – und lächelten selig. Mit der Verpflichtung seines erklärten Wunschkandidaten als Nachfolger für den im Sommer ausscheidenden Langzeit-Bundestrainers Joachim Löw hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) endlich wieder eine frohe Botschaft verkündet, die dem skandalumtosten Verband schon gar nicht mehr zugetraut wurde.
Flick, am Samstag noch im Dienst des FC Bayern die Meisterschale stemmend, übernimmt als elfter Bundestrainer der DFB-Historie im Anschluss an die Europameisterschaft. „Es ging jetzt doch alles auch für mich überraschend schnell mit der Unterschrift, aber ich bin sehr glücklich, ab dem Herbst als Bundestrainer tätig sein zu dürfen“, ließ der 56-Jährige wissen. „Meine Vorfreude ist riesig, denn ich sehe die Klasse der Spieler, gerade auch der jungen Spieler in Deutschland. So haben wir allen Grund, die kommenden Turniere, zum Beispiel die Heim-EM 2024, mit Optimismus anzugehen.“ Flick ist der logische Nachfolger Löws, dem er zwischen 2006 und 2014 als Assistent diente.
„Es war für mich wichtig, noch vor Beginn der Europameisterschaft Klarheit zu schaffen. Wir haben ein großes gemeinsames Ziel: zurück an die Weltspitze“, erklärte der federführend bei der Trainersuche tätige Bierhoff. Flick hat für drei Jahre unterschrieben. Er kennt seinen alten und neuen Arbeitgeber aus dem Effeff, nachdem er beim Verband drei Jahre lang bis 2017 auch als Sportdirektor wirkte.
Es gibt keine Zweifel an seiner Eignung als Löw-Erbe: Flick haben 18 Monate beim FC Bayern gereicht, um sieben Titeln zu gewinnen – darunter die Champions League im vergangenen Sommer. Den machtvollen Münchner Block hat der neue DFB-Cheftrainer auf seiner Seite; umso mehr, wenn der neue Bayern-Coach Julian Nagelsmann mal fremdeln sollte, wovor niemand gefeit ist.
Ohne die Reibereien zwischen Flick und Sportvorstand Hasan Salihamidzic hätte der DFB sicherlich nicht seine optimale Lösung präsentieren können. „In der Zeit bei Bayern München hat er gezeigt, wohin er eine Mannschaft als Cheftrainer führen kann“, sagte Bierhoff. Der 53-Jährige ist nicht unschuldig an mancher Fehlentwicklung beim Aushängeschild, hat nun aber seine Machtposition geschickt abgesichert. Der durchaus am Job interessierte Ralf Rangnick hätte über kurz oder lang das Wirken hinterfragt.
Klar ist: Flick muss das Aufgabenprofil umfassender bearbeiteten als sein Vorgänger. „Hansi wird sich als oberster sportlicher Kopf des Verbandes neben der sportlichen Leitung der A-Nationalmannschaft im Rahmen vieler weiterer Projekte und Initiativen unserer Direktionen, die alle Nationalmannschaften, die Trainerausbildung und die Akademie einschließen, einbringen“, erklärte Bierhoff. Löw hatte sich aus solchen Themen meist herausgehalten. Deutlich mehr Präsenztage in der neuen DFB-Heimat, Ende des Jahres fertig, sind für Flick aufgrund der räumlichen Nähe zu seinem Wohnort Bammental das geringste Problem.
Ohne Flicks Zutun wäre Deutschland kaum Weltmeister geworden, weil sich der anfangs unterschätzte Löw-Mitarbeiter zur WM 2014 um Themen kümmerte, die bei der bis dahin vergeblichen Titeljagd zu kurz gekommen waren: die Bedeutung von Standards etwa. Flick war derjenige, der hier entscheidende Kapitel in Brasilien orchestrierte. Das 1:0 im Viertelfinale gegen Frankreich fiel nach einem Freistoß, den Mats Hummels ins Tor köpfelte. Und dann war noch der komische Trick, bei dem Thomas Müller hinfiel. Wie überhaupt Müller ein gutes Stichwort gibt.
Der von Löw reaktivierte Herumtreiber war Ersatzspieler beim FC Bayern (und aussortiert bei der Nationalelf), als Flick im November 2019 übernahm und sofort die alten Identifikationsfiguren stärkte. Es wird interessant sein, ob der neue Bundestrainer Flick das oberbayrische Unikum Müller für sein erstes Großprojekt – die Wüsten-WM 2022 in Katar – überredet. Ob Löws Rückholaktion etwas bringt, wird sich Flick gleich im Stadion ansehen: Beim EM-Auftaktspiel Deutschland gegen Frankreich am 15. Juni will er auf der Tribüne sitzen. Flicks erste Aufgabe wird ungleich einfacher: Zum Debüt wartet am 2. September ein WM-Qualifikationsspiel in Liechtenstein.