Riga/München – Am Morgen danach die Überraschung: Der Schmerz blieb aus. „Schüsse blocken tut normal weh“, sagt Korbinian Holzer, deutscher Verteidiger, „aber gestern hat keiner was gespürt.“ Wie im Rausch warfen die Spieler sich in die Flugbahnen der von den Kanadiern gedroschenen Pucks, einmal wie Tom Kühnhackl sogar ohne Schläger, weil der gerade gebrochen war. Rund 35 Rettungsaktionen dieser Art sammelten sich über die 60 Minuten an, an deren Ende stand der 3:1-Sieg gegen Kanada bei der Weltmeisterschaft in Riga. Und alle sagten, sie hätten ein solches Ausmaß an Hingabe noch nie erlebt.
Moritz Müller, der Kapitän, sprach große Sätze: „Die Mannschaft lebt vom Mut, der Leidenschaft und der Liebe zueinander. Das sind die Eckpfeiler.“ Das Blocken von Schüssen, das von der Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen wird wie der Torerfolg oder die Vorbereitung, sei „sinnbildlich für unser Spiel. Dann singt man auch die Hymne so, wie wir wir sie gesungen haben.“ Laut, beseelt, die Energie der Mannschaft wurde zu Musik, als sie sich als Sieger aufreihte. Nun schon zum dritten Mal bei dieser WM, in der sie ihre Gruppe anführt. Vor den Namen, die größer sind als ihr eigener im Eishockey: Kanada, USA, Finnland.
Gegen Kanada war es der erste WM-Sieg seit 1996, „obwohl es vom Spieltaktischen her nicht unsere beste Leistung war“, wie Bundestrainer Toni Söderholm anmerkte. Auch Korbinian Holzer war selbstkritisch: „Wir haben Strafen genommen, die das Spiel auf die kanadische Seite haben kippen lassen.“ Es gibt also schon was zu verbessern für Turnierspiel Nummer vier heute (15.15 Uhr, Sport1) gegen Kasachstan. „Wir feiern nicht bis dahin durch“, versichert Holzer.
Was sich aber spürbar und grundlegend geändert hat, ist, wie die deutsche Mannschaft eine WM angeht. „Vor zehn Jahren“, blickt Routinier Moritz Müller zurück, „sind wir noch komplexbehaftet angereist, so richtig an uns geglaubt haben wir nicht.“ Der Aufschwung habe mit der WM 2016 unter Bundestrainer Marco Sturm begonnen, „und die Olympischen Spiele 2018 waren der Knackpunkt“, so Korbinian Holzer. Silber. „Daraus hat sich der Glaube entwickelt, dass man auch die Großen schlagen kann. Und der Anspruch, es zu tun.“ Früher habe man sich bei einem WM-Turnier auf ein Spiel konzentriert, das man gewinnen musste – nun ist der Sieg eine grundsätzliche Option.
Nach dem 3:1 gegen Kanada, sagte Söderholm, hätte man jeden einzelnen deutschen Spieler als Mann des Abends auszeichnen können. Die Wahl fiel dann auf Mathias Niederberger, den Torwart, „der die Scheiben absorbiert hat“ (Müller). In der Kabine wurde dem Berliner der interne Preis verliehen: „Eine recht ansehnliche Jacke, die Farbe ist sehr auffällig, geht Richtung Diskokugel“, so beschreibt Holzer das Teil. Niederberger habe es „mit seinem italienischen Charme“ getragen.
Keine Frage: Diese Mannschaft hat Spaß, auch die noch nicht eingesetzten Feldspieler Dominik Bittner, Andy Eder, Daniel Fischbuch und John Peterka, die die Spiele mit Maske und aus einem abgesperrten Bereich verfolgen, gehören dazu – als engagierte Trainingspartner und Tippgeber. Dass die WM für manchen ein Tribünenerlebnis werden kann, hat Söderholm im Vorfeld kommuniziert: „Und ich bin mir sicher, dass die Spieler lieber hier in Riga sind, als dass sie zu Hause sitzen.“
Der Bundestrainer meldete sie erst offiziell an, als er geklärt hatte, wer aus der NHL nachkommt. Leon Draisaitl, mit den Edmonton Oilers ausgeschieden, verständigte sich mit dem Deutschen Eishockey-Bund auf einen Verzicht, sein Kollege Dominik Kahun indes flog sofort los, geht heute in Riga in Quarantäne und kann, wenn alles optimal läuft, zum Ende der Vorrunde auflaufen. Korbinian Holzer nennt den Stürmer „eine Hausnummer“. Die deutschen Gegner sollen ja auch gezwungen werden, Schüsse zu blocken.