„Der Körper schreit“

von Redaktion

Nationalspieler Jo Voigtmann über das Euroleague-Finale und Basketball in Zeiten von Corona

München – Zeit der Entscheidung in der Basketball-Euroleague. Mit dem Halbfinale zwischen ZSKA Moskau und Efes Istanbul (18 Uhr/MagentaSport überträgt frei empfangbar) beginnt in Köln das Final-Four um den Titel in Europas Königsklasse. Einer der großen Leistungsträger im Team des Titelverteidigers aus Russland ist Nationalspieler Johannes Voigtmann, 28, der als erster Deutscher das Moskauer Trikot trägt. Im Interview spricht er über eine ungewöhnliche Saison.

2003 gewann mit Patrick Femerling letztmals ein Deutscher die Euroleague. Sie könnten die Serie beenden – sie treten mit dem Titelverteidiger an. .

Na ja, ein Final-Four ist schon knifflig. Du hast jeweils nur ein Spiel. Da kommt es stark auf die Tagesform an. Einen echten Favoriten sehe ich da nicht. Aber klar ist natürlich auch: Wir fahren dahin, um zu gewinnen.

Durchs Viertelfinale sind Sie als einziges Team in nur drei Spielen spaziert. Lässt das Schlüsse zu?

Nein, überhaupt nicht. Fenerbahce Istanbul hatte personelle Probleme, auch wenn es ein bisschen arg stark betont wurde. Da wurde es dann eben deutlich. In den anderen drei Serien haben die Favoriten für sie ungünstige Aufgaben erwischt.

So wie Olimpia Mailand, das fast am FC Bayern hängen geblieben wäre.

Ja, und klar ist: Gegen München hätte im Final-Four keiner gerne gespielt. Das ist eine sehr unangenehm zu spielende Mannschaft. Das haben wir ja auch gemerkt, in der Hauptrunde haben wir zu Hause gegen sie verloren.

Was ein Jahr zuvor undenkbar war. Wie ist so eine Entwicklung erklärbar?

Sie haben einen tollen Trainer. Ich mag es, wenn ein Coach so flexibel ist wie Andrea Trinchieri. Er spielt mit München ja einen ganz anderen Basketball, als er es etwa in Bamberg getan hat. Personell musst du mit dem Budget dann halt auch Glück haben. Dass Leute so einschlagen, wie es bei Wade Baldwin oder Jalen Reynolds war. Und sie hatten, soweit ich weiß, keine Probleme mit Corona. Das darf man in diesem Jahr auch nicht vergessen.

Anders als Sie beispielsweise. Bei ZSKA wurden gleich zu Saisonstart mehrere Spieler krank.

Richtig. Und ein bisschen später dann ja auch ich. Wobei das sehr merkwürdig war, weil ich nichts davon bemerkt habe. Bis dann bei den obligatorischen Tests herauskam, dass ich Antikörper habe. Das ist ein komisches Gefühl, muss ich zugeben.

Haben Sie sich trotzdem sicher gefühlt? Russland wurde immer wieder für zu laxe Regelungen kritisiert.

Man hat halt für sich einen eigenen Weg gewählt. Meine Familie ist ja nach dem letzten Sommer in Deutschland geblieben. Und ich habe versucht, hier nach deutschen Prinzipien zu leben. Mit Abstand und Maske. Ich bin nicht in Restaurants gegangen, abgesehen vom Training und Spiel war ich fast immer zuhause in meiner Wohnung.

Das klingt nicht, als ob Sie von Ihrer Wahlheimat in zwei Spielzeiten schon viel gesehen haben.

Habe ich auch nicht, was schade ist. Meine Frau und ich hatten im letzten Jahr ja mit einem Russisch-Kurs begonnen. Den haben wir dann auch abgebrochen, als die Dinge extrem geworden sind. Insofern bin ich auch mit der Sprache nicht wirklich weitergekommen. Mit Apps konnte ich mich dann doch noch nicht anfreunden.

Nimmt die Pandemie etwas von der Besonderheit? Sie sind der erste Deutsche bei ZSKA.

So bin ich hier auch begrüßt worden. Der erste Deutsche. Das macht einen schon stolz, so oder so. Man hält die Fahnen des deutschen Basketballs hoch. Wenn es dann sportlich auch noch so gut läuft – umso besser. Zumal bei einem Club, wo du sagen musst: Etwas Besseres gibt es in Europa kaum.

Es gibt Leute, die sagen, ZSKA bewegt sich auf gutem NBA-Standard.

Von den Strukturen her ist das auch gut vorstellbar. Da ist für alles gesorgt. Das Trainingszentrum ist vom Feinsten. Es gibt fünf Physiotherapeuten…

… die so spät in einer so strapaziösen Saison beliebt sein dürften.

Auf jeden Fall. So schön diese Spiele in den Playoffs jetzt sind. In deinen Körper darfst du jetzt nicht reinhören. Der schreit.

Ist es für Sie nachvollziehbar, dass gerade unter den Umständen der Pandemie die Saison im geplanten System und Umfang durchgezogen wurde?

Grundsätzlich muss man natürlich sagen, dass es alternativlos war, zu spielen. Für die Sportart war es existenziell, da konnte man nicht sagen, man lässt jetzt eine Saison komplett aus. Auch die Spieler wollten das. Aber das ändert nichts daran, dass das Programm extrem ist.

Bayern Münchens Sportchef Daniele Baiesi stellte kürzlich in den Raum, dass die in der Euroleague aktiven Vereine eigene Wege gehen könnten, wenn das Programm nicht verträglicher gestaltet wird. Vorstellbar?

Unser Präsident hat kürzlich gesagt, er sieht drei Möglichkeiten. Die erste: Man geht aus der nationalen Liga raus. Die zweite: Man steigt erst in den Playoffs ein. Oder man bestreitet so eine Saison mit zwei Kadern. Ich bin da ein bisschen gespalten.

Zwischen?

Zwei Kader wären natürlich extrem teuer. Erst in die Playoffs einzusteigen finde ich nicht wirklich sinnvoll. Und komplett aus der nationalen Liga auszusteigen, das ist eine heftige Vorstellung. Die spanische Liga beispielsweise, auf einen Schlag ohne die vier Spitzenvereine – das ist eigentlich unvorstellbar.

Aber es ist nicht absehbar, dass eine der beteiligten Parteien zurücksteckt. Die Spielpläne werden eher aus- als abgebaut.

Das ist das Problem. Wenn ich mir vorstelle, dass die Euroleague irgendwann mit 20 oder sogar 22 Teams spielen soll, dann fliegt alles in die Luft. Dann geht es endgültig nicht mehr.

Interview: Patrick Reichelt

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