Seefeld – Deutschland hat noch einige Probleme vor der EM zu lösen. Die offensichtlichsten: Die Taktik mit der Dreierkette passt noch nicht, und in der Offensive zieht sich wieder ein Spieler den Ärger der Kollegen zu. Leroy Sané (25) flog 2018 in der Vorbereitung aus dem WM-Kader. Diesmal muss kein Spieler gestrichen werden. Der Bayern-Star wirkt aber trotzdem noch nicht im Turnier-Modus angekommen.
Beim Testspiel gegen Dänemark gab es für Sané gleich zweimal einen Einlauf. In der ersten Halbzeit war Niklas Süle (25) sauer, als sein Münchner Kollege nur halbherzig im Zweikampf zu Werke ging und brüllte ihn an. Nach der Pause gab es dann den Anpfiff von Joshua Kimmich (26): „Hör’ auf zu jammern, Alter!“
Sané wirkt vor allem durch seine Körpersprache immer ein Stück weit desinteressiert. In den sozialen Netzwerken wurde sogar der Begriff der „Özileritis“ gebraucht. Auch Mesut Özil war für viele Betrachter bei Länderspielen nie mit 100 Prozent Einsatz bei der Sache.
„Leroy hat ab und an ein bisschen eine andere Körpersprache. Da muss man ihm manchmal auch schon mal einige Dinge etwas lauter sagen oder Körperkontakt zu ihm aufnehmen, ihn vielleicht auch mal trösten. Das hilft ihm manchmal“, sagt Emre Can (27), einer der „Aggressive Leader“ im Team, im Gespräch mit unserer Zeitung. „Das ist dann nicht böse gemeint, das weiß er selber. Ich versuche da zu sein, wenn ich sehe, dass ein Spieler ein wenig down ist. Manche Spieler brauchen auch mal einen Push, und da muss man auch mal lauter und aggressiver sein“, sagt der Dortmund-Profi zum Thema Sané.
Der 28-malige deutsche Nationalspieler ist ein Freigeist, der mitunter überraschende Dinge am Ball kann. Mal explodiert der Supertechniker, mal trabt er teilnahmslos über das Feld. In Pausen sitzt er alleine auf dem Rasen oder spaziert einsam und gedankenverloren über den Platz. In den Trainingsspielen fällt kein Name häufiger, immer wieder feuern die Kollegen den Künstler lautstark an.
Hat Sané etwa von seinem WM-Aus vor drei Jahren nichts gelernt? Damals wurde ihm eine mangelhafte Einstellung nachgesagt, zudem missfiel es dem Bundestrainer, dass sich der Offensiv-Star 2017 einer Nasen-OP unterzog, statt beim Confed-Cup mitzuspielen. „Ich mag es gar nicht so, den leichteren Weg zu gehen“, sagt der 25-Jährige, auch sein Spiel sei ja „sehr riskant“. Er wolle seine Kollegen mitreißen, meint er, und er „liebe den Druck und den Nervenkitzel“.
„Er hat eine wahnsinnige Entwicklung hinter sich. Vor allem was seine Seriosität und Einstellung zum Beruf betrifft“, verteidigt ihn Co-Trainer Marcus Sorg (55). „Entscheidend ist aber, dass nicht alle Spieler gleich sind und man nicht von allen Spielern das Gleiche erwarten kann. Jeder hat sein eigenes Profil, seine eigenen Stärken und Schwächen, jeder hat seine Eigenschaften. Dann muss man das eine oder andere Mal gewisse Dinge in Kauf nehmen. Das gehört dazu.“ Spannend bleibt nur die Frage, ob die Mitspieler diese „Eigenschaften“ akzeptieren. Zumal die Konkurrenz in der Offensive nun durch die angereisten Kai Havertz (21) und Timo Werner (25) weiter wächst. MANUEL BONKE/PHILIPP KESSLER