Düsseldorf – Das Glücksgefühl nach dem Düsseldorfer 7:1 währte gerade mal bis zur Match-Analyse vor den RTL-Mikrofonen. „Natürlich ist es von Vorteil, wenn man so ein Spiel gewinnt. Wenn die Dinge, die man im Training ansteuert, dann erfolgreich sind und ein Sieg herausspringt, ist es ein gutes Gefühl“, sagte Bundestrainer Joachim Löw nach der Gala gegen Lettland – und warnte im nächsten Satz vor allzugroßer Euphorie nach dem Schützenfest. „Man muss sagen“, so Löw deutlich, „dass Frankreich eine völlig andere Mannschaft ist. Dass uns dieser Sieg nicht dazu bewegen soll, dass wir glauben, es ist alle Arbeit getan.“ Wohl wahr.
Minuten zuvor hatte sich sein Team in der Kurve noch von einigen der 1000 geladenen Anhänger beklatschen lassen. Einer der Letzten, der aus der Kurve huschte, war Leon Goretzka. Der Mittelfeldspieler befindet sich nach seinem Muskelfaserriss noch im Aufbautraining – und konnte sich sein Urteil über den letzten Auftritt der DFB-Elf vor dem EM-Start in Ruhe auf der Tribüne bilden. Der Bayern-Star dürfte sich die gleiche Frage gestellt haben wie der Rest der Fußball-Republik: War das die erhoffte EM-Explosion?
Auch Löws Ausführungen machen klar: Sieben Tore sind eigentlich super, doch Lettland darf nicht als Messlatte für das anstehende Turnier herangezogen werden. „Ein deutlicher Sieg von uns ist schon länger her. Das hat sich heute schon gut angefühlt. Die Abläufe aus dem Training hat man auf dem Platz gesehen. Aber: Frankreich wird eine andere Hausnummer als Lettland“, meint auch Thomas Müller mit Blick auf das deutsche EM-Auftaktspiel am Dienstag. Eine entscheidende Parallele aus dem Spiel gegen Fußball-Zwerg Lettland und dem bevorstehenden Duell mit dem Weltmeister dürfte es aber trotzdem geben: die Aufstellung. So wird Löw mit großer Wahrscheinlichkeit die Düsseldorfer Start-Elf in die Auftakt-Schlacht gegen die französischen Superstars um Kylian Mbappé, Karim Benzema, Antoine Griezmann & Co. schicken. Heißt: mit Dreierkette und Joshua Kimmich als rechtem Flügelläufer statt im zentralen Mittelfeld. Diese These wollte Löw allerdings nicht bestätigen. „Was Offensive, Variabilität und Individualität betrifft, ist Frankreich ein völlig anderes Kaliber“, erklärte Löw und sagte aber auch: „Natürlich weiß man, dass die meisten Spieler auch gegen Frankreich auf dem Platz sein werden. Aber es gibt noch Überlegungen.“
Die allerdings dürften weniger die Grundordnung, sondern allenfalls das Personal betreffen. Seine Start-Elf schickt der Bundestrainer dann mit klaren Vorstellungen aufs Feld: in der Defensive frühzeitig Bälle gewinnen, gute Pressingsituationen und Laufwege erzwingen und beim Torabschluss die nötige Effizienz an den Tag legen. Daran will Löw in den nächsten Tagen noch intensiv arbeiten: „Die großen Themen bleiben: Wie verteidigt man Räume, wie verteidigt man kompakt? Wie bestreitet man Zweikämpfe? Dazu Räume besetzen in der Offensive, Räume bespielen und Räume öffnen. Das sind die übergeordneten Themen. Das ist im Fußball das Entscheidende.“
Für Löw fängt die Arbeit jetzt richtig an, er will bei allen Spielern alle Sinne schärfen, denn klar ist: Wenn man gegen große Mannschaften wie Frankreich unaufmerksam ist, wenn man Konzentrationsfehler macht, reichen manchmal wenige Momente, und man ist auf der Verliererstraße. „Gegen Frankreich gibt es einen anderen Druck, es ist eine andere Klasse, EM-Auftakt.“ Ein Sieg gegen den Weltmeister könnte für die wahre EM-Explosion sorgen.