Düsseldorf – Wahrscheinlich hat es Robin Gosens auf seinem nicht ganz üblichen Lebensweg zum Fußballprofi gutgetan, dass er erst ein wenig später die Kurve gekriegt hat. In eine Nachwuchsleistungs-Zuchtanstalt wurde er nie gesperrt. Er war nicht gut genug damals. Auch bei Borussia Dortmund fiel er im Probetraining durch.
Jetzt ist der Außenverteidiger seit fast einem Jahr ein veritabler Nationalspieler, der beste Aussichten hat, bei der EM 2021 auf der linken Außenbahn zum Einsatz zu kommen. Die Generalprobe erlebte Gosens als Hauptdarsteller auf der großen Bühne: Volltreffer zum 1:0 nach Doppelpass mit Kai Havertz, Vorlage zum 3:0 von Thomas Müller nach Tiefenlauf auf die Grundlinie. Beim 7:1 gegen Lettland spielte der linke Läufer klasse.
Robin Gosens, Mutter Deutsche, Vater Niederländer, ist wunderbar unverstellt geblieben, sehr geradeaus, wie auch in der Spielweise. „Ich bin ein dynamischer Schienenspieler“, sagt er über sich selbst. Immer schön die Schiene links an der Linie entlang.
Für Atalanta Bergamo, wo er mangels attraktiver Angebote aus der Bundesliga über ein paar Umwege gelandet ist, schießt er Tor um Tor, was beweist: Die Schiene geht auch manchmal rechts ab Richtung Strafraum, Robin Gosens, Marktwert inzwischen 35 Millionen Euro, ist nämlich auch ein guter Weichensteller. Sein erstes Länderspieltor hat er genauso geschossen. Von außen flink reingeschlichen, per Halbvolley abgezogen. Unhaltbar. Ein typisches Gosens-Tor? „Ja“, sagte er nach dem Spiel und grinste breit, „wenn es ein typisches Gosens-Tor gibt, dann war es das. Da ist mir schon einer abgegangen, auch wenn’s nur ein Freundschaftsspiel war.“ Eltern, Schwester, die beiden besten Freunde und die Verlobte jubelten auf der Tribüne.
Parallel zur sportlichen Laufbahn (und zur Karriere als Buchautor) bastelt Gosens an einem Psychologiestudium. Die entsprechende Fachliteratur hat er auch bei der EM mit dabei. Später will er seine eigenen Praxis aufmachen und Menschen helfen, „die Probleme mit Druck und Angst“ hätten. „Für mich steht fest, dass ich mit dem Fußball erst mal nichts mehr an der Mütze haben will, wenn das hier vorbei ist.“
Noch ist er aber mittendrin und mächtig stolz darauf. Der Spätentwickler sagt über sich: „Seit dem Moment, als ich Fußballprofi geworden bin, habe ich immer ein bisschen mehr gemacht als die anderen.“ Er wusste, dass er etwas später dran war, aber mit 20 auch nicht zu spät, um in der zweiten niederländischen Liga beim FC Dordrecht zu debütieren.
Dass man den schlagfertigen Burschen auf dem Platz durchaus mal lauter hört als die meisten anderen, ist kein Zufall. „Ich bin ein emotionaler Spieler, der auch mal ausbricht.“ Man müsse sich im Training „auch mal auf die Eier gehen und dem anderen sagen, dass er Sülze spielt“.
Das verbindet ihn nicht nur rhetorisch mit dem Kultkölner Lukas Podolski. In seinen Sozialen Netzwerken schreiben ihm regelmäßig Fans, dass er dem „Poldi“ erstaunlich ähnlich sieht. „Finde ich selber zwar nicht“, sagt Robin Gosens, „aber den linken Huf vom Lukas hätte ich schon gern.“ Und außerdem: „Wenn ich den gleichen Weg gehen könnte wie er, dann schaue ich auf eine ultrageile Karriere zurück.“ Er ist nur ein bisschen später dran. JAN CHRISTIAN MÜLLER