„Sie waren für Spanien ein Vorbild“

von Redaktion

Weltmeistertrainer Del Bosque widmet Löw vor dessen Abschiedsturnier exklusive Zeilen

VON JOSÈ CARLOS MENZEL LÒPEZ

München – Vicente del Bosque befindet sich seit nunmehr fünf Jahren im Ruhestand. Interviews gibt der spanische Weltmeistertrainer von 2010 nur selten, zu groß ist der Respekt vor der Arbeit seiner Nachfolger bei der Selección. Für unsere Zeitung macht der vom spanischen König mit dem Adelstitel versehene Del Bosque, 70, aber gerne eine Ausnahme. Der Grund: Joachim Löw, einer seiner Hauptrivalen während der Goldenen Ära der Spanier zwischen 2008 und 2012, tritt nach der heute startenden Fußball-EM als Bundestrainer ab. Exklusiv für unsere Zeitung widmet del Bosque ihm nun einen Brief über Respekt und ehrliche Rivalität im Sport, zwei Attribute, die er in Löw stets wiedererkannte.

Lieber Herr Löw,

ich hoffe sehr, dass es sowohl Ihnen als auch Ihrer Familie in diesen nicht ganz so einfachen Zeiten gutgeht. Knapp sieben Jahre ist es nun schon her, dass wir uns das letzte Mal auf der Trainerbank in Vigo gegenüberstanden. Ich erinnere mich, das Freundschaftsspiel ging mit 1:0 an Ihre Mannschaft. Und auch wenn die Sprachbarriere einen intensiveren Austausch bisweilen verhinderte, so lernte ich Sie stets als respektvollen und seriösen Rivalen kennen. Aus diesem Grund will ich Ihnen nun, vor Ihrem letzten Turnier als Bundestrainer, folgende Zeilen widmen.

Der Fußball ist ein schnelllebiges und nicht selten oberflächliches Geschäft. Es zählen Erfolge, von denen Sie in 15 Jahren als Cheftrainer der deutschen Nationalmannschaft eine ganze Reihe vorweisen können. Wenn Sie jedoch wie ich eines Tages auf Ihre Karriere zurückblicken, so sind es weniger die Titel, die in Erinnerung bleiben, sondern vielmehr die Menschen, deren Wege man auf besagter Reise kreuzen durfte. An manche Begegnungen denkt man eher ungern zurück, andere Personen dagegen bleiben haften. Sie gehören zweifelsohne zu Letzteren.

Seien Sie sich sicher: Ihre Mannschaft war eine der schwersten Hürden, die unsere Selección auf dem Weg zu den großen Triumphen vor rund einem Jahrzehnt nehmen musste. Insbesondere der Sieg im WM-Halbfinale 2010 (1:0 durch Puyol/73.) gab uns das Selbstvertrauen und den Glauben, die wir Tage später benötigen würden, um uns zum ersten Mal in unserer Geschichte Weltmeister nennen zu dürfen. Wahre Größe zeigt sich allerdings erst in Momenten der Niederlage. Sie verloren nie ein schlechtes Wort. Im Gegenteil. Sie nannten uns damals ein Vorbild. Dafür möchte ich Ihnen danken.

Schnell wurde auch Ihre Mannschaft zum Vorbild. 2014 schien Brasilien bereits vor der WM im eigenen Land als Sieger festzustehen, nach dem historischen 7:1 Ihrer Nationalelf im Halbfinale wusste jedoch jeder, wer den Pokal in Rio de Janeiro überreicht bekommen würde. Auch in diesen Momenten wahrten Sie stets eine Größe, ohne die es unmöglich gewesen wäre, 15 Jahre lang die Geschichte eines vierfachen Weltmeisters zu prägen. Vor Ihrem Schlussakt wünsche ich Ihnen daher nicht nur sportlichen Erfolg, sondern auch, dass Sie sich Ihren edlen Charakter bewahren.

In tiefer Bewunderung,

Vicente del Bosque

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