Amsterdam – Die Brathähnchen tanzen auf dem Grill, Regenwolken hüpfen bereitwillig von der Wetterkarte. Selbst im Seniorenheim schaukeln die Rollatoren zum Party-Song der EM „van links naar rechts“. Dass der niederländische Fußball-Verband den lustigen Werbehit der Ulkband „Snollebollekes“ aber noch schnell aus dem Fernsehen klagen will, passt zur Stimmung im Lande: Euphorie kommt vor dem ersten Turnier mit Oranje seit 2014 nicht auf.
Vor dem EM-Auftakt gegen die Ukraine in Amsterdam am Sonntag (21.00 Uhr) erwarten 68 Prozent der Holland-Fans in einer Umfrage der Tageszeitung „AD“ das Aus spätestens im Achtelfinale – trotz der vergleichbar machbaren Gruppe C mit den weiteren Gegnern Österreich (17. Juni) und Nordmazedonien (21. Juni).
Bondscoach Frank de Boer wirkte zuletzt ein wenig fahrig: Bei einer Pressekonferenz verwechselte er Zahlen und Spielernamen. „Das war nicht schlimm. Es zeigt nur, dass ich älter werde“, sagte der Ex-Nationalspieler, der 51 Jahre zählt. Ohne Kontaktlinsen müsse er eben sein Handy-Display heller stellen, um alles lesen zu können.
Dabei hätte er erkennen können, dass auch seine Personalpolitik nicht gut ankommt. Seinen entsetzten Torhüter Jasper Cillessen (FC Valencia) strich er wegen dessen Corona-Infektion. „Das ist ein enormer Schlag, der lange nachwirken wird“, sagte Cillessen: „Ich habe mich noch nie so machtlos und schrecklich gefühlt.“
Die talentierte Mannschaft ohne Superstars verbreitet dennoch Optimismus. Holland sei kein Favorit, sagte der international begehrte Memphis Depay von Olympique Lyon. „Aber das war 2014 nicht anders. Wir wollen unbedingt was reißen. Darauf brennen alle.“
Vor sieben Jahren in Brasilien verloren die Niederländer kein Spiel und träumten bis ins Elfmeterschießen des Halbfinals gegen Argentinien vom WM-Titel – den dann, ausgerechnet, der Erzrivale Deutschland abräumte. Es war mal wieder die Tragik, die der Elftal abseits des EM-Triumphs 1988 treue Begleiterin ist.
Diesmal soll sich alles ändern. „Ein Turnier zu erleben, ist größer als nur der Moment selbst“, sagte Depay fast philosophisch: „Es sind Erinnerungen für immer.“ Die Mannschaft könne größer werden als die Summe der Einzelteile: „Wir sind wirklich ein Team.“ In dem es wie zuletzt beim 2:2 gegen Schottland noch hakt.
Das Sturmduo aus Depay und dem Wolfsburger Wout Weghorst allerdings genügt internationalen Ansprüchen. Es habe „klick gemacht“ zwischen beiden, verriet Depay. Auch Georginio Wijnaldum vom FC Liverpool, Frenkie de Jong (Barcelona) oder das Supertalent Donyell Malen (PSV Eindhoven) können sich sehen lassen – und Matthijs de Ligt von Juventus, der seine Interpretation von „Entscheidend is’ aufm Platz“ gab: „Titel gewinnt man nicht mit Statistiken und Prognosen.“
Allerdings, gab „AD“ zu bedenken, seien die Niederlande „keine geölte Maschine“, häufig sei die „rechte Hand überrascht, was die linke tut“. Kein Wunder: De Boer ist nach dem Wechsel seines Vorgängers Ronald Koeman nach Barcelona erst seit neun Monaten im Amt. sid