Turnier-Torflaute des DFB

Kein Stürmer, der Angst einjagt

von Redaktion

GÜNTER KLEIN

Das letzte Tor, das Deutschland in einem Turnier erzielte, war ein großartiges: Der Freistoß von Toni Kroos 2018 in der Nachspielzeit gegen Schweden. Unmöglicher Winkel, die Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg lag laut Expected-Goals-Statistik bei überschaubaren 10 Prozent, dazu der massive psychische Druck, Kroos, der ewige Mister Cool, pflanzte den Ball ins Eck, was die deutschen WM-Hoffnungen am Leben erhielt – wenn auch nicht lang. Denn es folgte das 0:2 gegen Südkorea. Vor Schweden war das 0:1 gegen Mexiko. Dass man in die verspätete EURO 2020 mit wiederum der Null auf der eigenen Seite eingestiegen ist, lenkt den Blick auf ein Problem, dem sich der deutsche Fußball stellen muss. Ihm fehlen Zielspieler, Mittelstürmer, Knipser, den Ball-über-die-Linie-Schieber, Rumlungerer vor dem Tor.

Schon 2014, wo alles noch gut ging, arbeitete die Nationalmannschaft mit Notlösungen. Einziger echter Mittelstürmer war Miroslav Klose. Damit das Ungleichgewicht in der Kaderliste optisch ausgeglichen wurde, fasste man den einen Stürmer und die Armada an zentralen und Außenspielern unter „Mittelfeld/Angriff“ zusammen. Gelegentlich besetzte auch Thomas Müller die Sturmmitte, Klose konnte nicht jede Partie bestreiten. Doch er saß auf der Bank, und wenn er aufstand und ein paar Schritte joggte, durchfuhr jeden Gegner die Angst. Da ist einer, der höher springt als die anderen, der eine Situation riecht und die Fußspitze hinkriegt. Einer in der Tradition, die bei Uwe Seeler und Gerd Müller begonnen hatte und von verschiedenen Typen weitergeführt wurde: Dieter Müller, Klaus Fischer, Horst Hrubesch, Rudi Völler, Oliver Bierhoff. Nach Klose und dem in seinem Schatten stehenden Mario Gomez kam nichts mehr.

Man hat sich auf den pseudointellektuellen Fußball des Guardiola-Kults eingelassen, in dem der hochspezialisierte Mittelstürmer als Verschwendung gilt. Zum wahren Neuner wurde der falsche Neuner, idealerweise 1,75 Meter groß, schnell und gerne außerhalb des Strafraums unterwegs. In der Bundesliga ist das Defizit bekannt, die Clubs beheben es mit ausländischen Fachkräften: Lewandowski, Haaland, Silva. Vor welchem deutschen Stürmer fürchtet sich Europa, wenn er am Anstoßkreis steht oder sich als Joker bereitmacht? Gefährlicher ist es dann doch noch, wenn Kroos sich den Ball hinlegt.

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