München – Ilkay Gündogan ist ein Mann mit Einfluss. Als es im Herzogenauracher Basecamp in einer Mischung aus Wahl- und Losverfahren an die Besetzung der Wohneinheiten ging, „habe ich mir Mühe gegeben, dass ich Emre noch in mein Haus kriege“. Es gelang, Can bildet nun mit Gündogan, Serge Gnabry und Marcel Halstenberg einen EM-Hausstand. Doch wie steht es um Ilkay Gündogans Einfluss auf dem Spielfeld? Er war angetreten mit der Hoffnung, seine Rolle aus dem Verein Manchester City als treibende Angriffskraft auch in der Nationalmannschaft umzusetzen. Beim 0:1-Auftakt gegen Frankreich machte der 30-Jährige nach Joshua Kimmich am meisten Strecke (11,43 km), war ballsicher (92 Prozent der Pässe kamen an) – und doch lief das Spiel an ihm vorbei.
Als wäre er nicht der Gündogan, der diese Saison in 28 Premier-League-Partien 13 Tore geschossen hat. Ohne dass er bei City eine klar definierte Rolle hatte. Trainer Pep Guardiola überlegte sich ständig andere Aufgaben für ihn. Ist er Sechser, Achter, Zehner? „Keine Ahnung“, sagt Gündogan. Auch im DFB-Team war er alles: der potenziell bessere Schweinsteiger (defensiv), bessere Özil (als Spielmacher). Doch die Konkurrenten hatten alle ihr Revier – so wie jetzt Toni Kroos. Es fällt Gündogan schwer, seine Ambitionen umzusetzen.
Für seine 47 Länderspiele hat er zehn Jahre gebraucht. Aufs tatsächliche Debüt nach der ersten Nominierung musste er neun Monate warten, eine rätselhafte Wirbelsäulengeschichte, die ihn bis in ein Militärhospital auf der Krim führte, eine Kniescheiben-Luxation, ein Kreuzbandriss und das ihn relativ heftig treffende Coronavirus haben ihn um drei Turniere und diverse Spiele gebracht.
Für manche überschattet nach wie vor die Erdogan-Trikot-Affäre Gündogans Wirken beim DFB. Mit seiner Beziehung zur Türkei geht er offen um: „Ich bin stolz, diese Kultur in mir zu tragen, bin offen und tolerant.“ Sein Land ist gleichwohl Deutschland. Die Meisterprämie aus England hat er seinem ersten Verein, Gelsenkirchen 06, gespendet. „Ganz toller Junge“, schwärmte vor einiger Zeit auch Ex-DFB-Präsident Reinhard Grindel von ihm.
Doch der tolle Junge braucht nun auch ein großes Spiel. GÜNTER KLEIN