München – Bei der WM 1990 in Italien schoss Andreas Brehme (60) Deutschland zum Titel. Im Interview mit unserer Zeitung spricht der Ex-Bayern-Star über die EM und die Titelchancen des DFB.
0:1 gegen Frankreich, 4:2 gegen Portugal – wie bewerten Sie Deutschland bisher?
Zwischen den beiden Spielen war ein Weltunterschied. Gegen die Portugiesen hat unsere Mannschaft von der ersten Minute an wirklich super gespielt. Durch einen Fehler nach einer eigenen Ecke kriegst du so ein Kontertor zum 0:1. Das darf im nächsten Spiel nicht passieren. Aber insgesamt hat Deutschland die Portugiesen beherrscht. Gegen die Franzosen war das umgekehrt…
Von Platz eins bis vier – für Deutschland ist am letzten Gruppen-Spieltag noch alles möglich. Wie schätzen Sie Ungarn ein?
Die Ungarn haben sehr unglücklich verloren gegen die Portugiesen. Man hat auch beim 1:1 gegen Frankreich gesehen, dass sie Fußball spielen können. In Budapest wurden die Ungarn auf jeden Fall von den rund 55 000 Fans, die im Stadion erlaubt sind, nach vorne getrieben. Ganz ehrlich: Ich bin froh, dass wir am Mittwoch in München spielen.
Sie sind Wettbasis-Experte. Ihr Tipp für das Spiel?
Ich hoffe nicht, dass die Ungarn eine Überraschung schaffen. Das wäre schlecht für uns. Ich tippe auf ein 3:0 für unsere Mannschaft.
Am Mittwoch dürfte auch Bayern-Star Leon Goretzka nach seinem Muskelfaserriss im Oberschenkel wieder ein Kandidat für die Startelf sein.
Er hat uns vor allem im ersten Spiel gegen Frankreich im Mittelfeld-Zentrum gefehlt. Er zerreißt sich, reißt die Bälle an sich.
Joachim Löws Dreierketten-Taktik wurde zuletzt stark kritisiert. Ihre Meinung dazu?
Ich finde die Dreierkette gut, die Außenverteidiger rechts und links gehen sowieso mit nach vorne. Danach müssen sie sich wieder hinten einreihen.
Wo würden Sie Joshua Kimmich aufstellen? Rechts hinten oder im defensiven Mittelfeld?
Im Moment haben wir rechts hinten keinen anderen, außer vielleicht Emre Can. Vielleicht ist Kimmich für uns im Mittelfeld wichtiger. Aber dort sind wir trotzdem stark besetzt. Da muss man als Spieler auch mal in den sauren Apfel beißen und sich in den Dienst der Mannschaft stellen. Das macht Kimmich, und er spielt meiner Meinung nach als rechter Verteidiger auch sehr gut.
Beim WM-Triumph 1990 waren Sie linker Verteidiger. Aktuell begeistert Robin Gosens auf dieser Position.
Gegen Portugal hat er ein super Spiel abgeliefert. Sensationell auch, wie er sich immer mit nach vorne einschaltet – nicht nur wegen seines Kopfballtors, er schlägt auch hervorragende Flanken. Ich beobachte ihn schon seit zwei Jahren. Er bringt bei Atalanta Bergamo überragende Leistungen.
Fans und Journalisten lieben ihn auch wegen seiner klaren Aussagen.
Solche Spieler braucht man auch. Wenn das Erfolg bringt und auch anspornt, ist das super. Nur mit Ja-Sagern gewinnt man nichts.
Gerüchten zufolge soll neben dem FC Barcelona auch Manchester City an Gosens interessiert sein.
Man sollte die Kirche im Dorf lassen. Ich würde ihm raten, lieber noch ein Jahr in Bergamo zu bleiben und noch mal mit Atalanta Champions League zu spielen. Dann kann er sich noch weiter entwickeln, er ist erst 26 Jahre alt. Trainer Gasperini steht voll hinter ihm, in Bergamo ist er gesetzt. Das kann bei einem großen Verein anders sein.
Trauen Sie dem DFB den Titel zu?
Darüber zu diskutieren, ist noch viel zu früh. Das hängt auch davon ab, welche Gegner man in der K.o.-Phase bekommt. Wenn unsere Mannschaft aber so wie gegen Portugal spielt, ist alles möglich.
Was muss noch besser werden?
Die Standards. Und in der Rückwärtsbewegung müssten die Spieler schneller zurückkommen.
Interview: Philipp Kessler