TV-KRITIK
Johannes B. Kerner, Du verdammte Legende! Der Baptist hat schon 1954 in Bern das erste Spielfeld-Interview mit Fritz Walter geführt. Später hat er bei „Kerner kocht“ mit Marilyn Monroe, Elvis Presley und drei Päpsten gebrutzelt. Jetzt ist der emsige Fernsehschaffende zurück, der sich zuletzt mit ZDF-Quizshows über Wasser halten musste. Extra fürs pinke EM-Fernsehen der Telekom hat er sich in Johannes T. Kerner umbenannt (T-Punkt, verstehen’s?). Wir haben MagentaTV geschaut und waren begeistert. Maximal Fußball und minimal Klimbim, kann man so machen
– Johannes T. Kerner: JTK ist noch ein Conférencier alter Schule. In seiner Kulenkampffigkeit sagt er Sachen wie: „Damit machen wir langsam ein Schleifchen um die Partie.“ Oder er klöppelt hochkomplexe Sätze zusammen, wie sie die Vor-Smartphone-Menschen früher noch verstanden haben: „Die EURO 2020, die uns, das haben Sie mittlerweile abgespeichert, im Sommer 2021 beschäftigt und idealerweise sogar erfreut.“ Natürlich ist Kerner ein Riesen-Fan von Kerner, das merkt man in jeder Szene. Sich selbst noch dufter findet höchstens Alex Bommes. Aber der Telekom-Altstar bringt auch zehn Stunden EM unterhaltsam über die Rampe, und Kuli war eh der Größte.
– Jan Henkel: Der Münchner wurde zusammen mit Matthias Sammer schon bei Eurosport gefeiert. Die Telekom hat ihn jetzt zum „Analyse-Moderator“ befördert, zum Erklär-CEO – und das macht niemand in Deutschland besser. Seine Finger flitzen über den Berühr-Bildschirm wie früher die Hände von Vladimir Horowitz, der ja ebenfalls schon bei Kerner gekocht hat, über die Klaviertasten. So zeigt er meisterlich, warum David Alaba als Österreicher viel mehr Fehler macht als als Bayer – weil ihm die Top-Nebenleute fehlen. Kerner spricht ja immer von „Jan Henkels Analyse-Team“. Das klingt so, als würden da 163 Menschen hocken und jedes Spiel sezieren. In Wahrheit sind es nur sechs Auskenner, darunter ein „redaktioneller Hexer“. Wenn Sky schlau ist, zaubert diese Truppe bald in der Bundesliga.
– Die Experten: ARD und ZDF sind in Sachen Experten ja wertkonservativ. Wer dort einmal analysieren darf, darf die ganze EM lang analysieren. Denn der Öffi-Zuschauer gewöhnt sich ungern an neue Gesichter. Die Telekom macht es anders. Michael Ballack und Fredi Bobic sind zwar die starke Stammbesetzung. Aber auch Boris Becker und Uli Hoeneß waren schon da. Heute co-kommentiert Gladbachs Lars Stindl das Deutschland-Spiel. Die Experten-Rotation sorgt für Abwechslung. Auf Pfiffikus Bobic kann man sich eh immer verlassen. Und Ballack erklärt entspannt sächselnd die ulkige Anatomie von Thomas Müller: „Er hat jetz ooch nich solche Müskeln.“
– Die Kommentatoren: Starke Sache, mit Qualitätskräften von Wolff Fuss bis Jan Platte. Top-Entdeckung ist Christian „Strassi“ Straßburger, der beim Begeisterspiel Dänemark – Russland rechtschaffen ausflippte und mit dem Berechnen der Blitztabelle nicht mehr nachkam: „Mein Mathelehrer hat mir immer gesagt, siehst du, irgendwann wirst du es brauchen.“ Große Freude beim Zuhören. Und die Frage ist halt: Warum traktieren uns ARD und ZDF seit Jahren mit den Bartels’ und Schmidts, wenn es bei DAZN und der Telekom ein ganzes Nest mit solchen Talenten gibt? Damit machen wir ein Schleifchen um diese TV-Kritik, grüßen Almuth-Liebes und sind morgen für Sie zurück. JÖRG HEINRICH