Seit 2009 beschäftigt sich Prof. Harald Lange am Lehrstuhl für Sportwissenschaft der Uni Würzburg auch mit dem Fußball in all seinen Facetten. Eines der Forschungsthemen: Ethik im Profisport.
Herr Lange, wie werten Sie die Tatsache, dass Ungarns Staats-chef Viktor Orban seinen Spielbesuch in München kurzfristig abgesagt hat?
Als Erfolg! Als großen Erfolg einer Bewegung, die aus dem Volk gekommen ist und hoffentlich nicht abebben wird. Die diskriminierende Gesetzgebung in Ungarn hat durch die Europameisterschaft und dieses Deutschland-Spiel auch das Bewusstsein von Bevölkerungsschichten erreicht, die sich normalerweise wenig für Politik interessieren. Da sieht man mal wieder, was der Sport für eine Kraft entfalten kann.
Der europäische Fußballverband hat das Verbot der Regenbogen-Beleuchtung der Münchner Arena damit begründet, dass die UEFA eine „politisch und religiös neutrale Organisation“ sei, wie es das Exekutivkomitee-Mitglied Rainer Koch formulierte. Ihre Einschätzung?
Koch hat von einer politischen Aktion wegen des konkreten Anlasses gesprochen. Ich sehe es vielmehr als Symbol für Respekt und Toleranz. Wenn wir ein echtes Zeichen für unsere Werte setzen wollen, dann können wir das schlecht ohne Kontext tun. Andernfalls sind es Worthülsen, wie sie die UEFA mit ihren Kampagnen ja reichlich produziert. Jetzt, wo es wirklich mal einen Anlass gibt, zieht man sich dort auf die Position des unpolitischen Verbandes zurück. Das ist absolut unglaubwürdig und lässt die gesamte Luft aus dem PR-Ballon.
Der Verdacht liegt nahe und wurde auch formuliert, dass es sich der Verband mit Ungarn als Veranstaltungsort nicht verscherzen will. Schließlich steht zur Debatte, dass Budapest bei Halbfinals und Finale für London einspringen könnte, sollte sich die Corona-Lage in Großbritannien verschlechtern.
Wenn es so ist, dann soll man es so sagen, das wäre auch ein Signal. Ich sage: Sportpolitik, die nach diesem Prinzip funktioniert, ist schäbig.
Ist es nicht naiv, an einen Profisport zu glauben, dessen Geschäft nach ethischen Prinzipien funktionieren soll?
Den Profisport sich selbst zu überlassen, würde den Draht zur Basis endgültig kappen. Dann ist es wirklich nur noch ein Zirkus. Ich glaube nicht, dass das in Europa akzeptiert würde, weder vom Publikum noch von den Sponsoren. Die Einschaltquoten gehen ja schon jetzt zurück, der Sponsorenpool bei der EM hat eine russisch/chinesische-Schlagseite. Möglicherweise hat diese Regenbogen-Debatte dem einen oder anderen die Augen geöffnet, was hier abläuft. Ich will die Hoffnung noch nicht aufgeben.
Interview: Ludwig Krammer