Der Spieler hat ein Tor geschossen, die Freude muss aus ihm raus, er nimmt Anlauf, beschleunigt – und dann kommt der Übergang in die tiefere Lage. Auf die Knie. Auf denen schlittert er dahin, idealerweise bis zur Eckfahne – bei dieser EM ist das die Form mit dem höchsten Anteil am Gesamtjubelaufkommen. Sie hat den Vorteil, dass der Spieler, befindet er sich erst einmal in der finalen Gleitphase, seine Konzentration auf sein Mienenspiel richten kann. Der aufgerissene Mund, den nicht verklingenden Torschrei darstellend, vollendet die Pose.
Wir am Fernseher erschrecken jedes Mal und verspüren einen sofortigen Kreuz-, Innenband- und Meniskus-Phantomschmerz. Und wir können uns nicht vorstellen, dass es irgendeinen Orthopäden gibt, der bei diesen Bildern gelassen bleibt. Denn nach solch einem Turnier setzt immer ein Nachahmereffekt in den Amateurligen ein – und es ist absehbar, wie es beim übermütigen AH-Spieler mit den multiplen Vorschäden ausgehen wird.
Erstaunlich aber, dass unter Profis direkt bei diesem Jubel noch keine Verletzung aufgetreten ist (noch nicht einmal bei Marco Reus, der das in der Bundesliga auch schon gemacht hat). Der glattverlaufene Jubel spricht für den Zustand des Rasens in den EM-Arenen und erklärt, warum vor dem Aufwärmen, vor dem Spiel und in der Halbzeit bewässert wird wie bei Opa im Garten, damit das mit den Gurken dieses Jahr was wird.
Wir glauben ja: Die EURO 2020 ist auch ein pankontinentaler Wettbewerb der Greenkeeper. In wessen Stadion der sein Tor feiernde Spieler am weitesten auf den Knien rutscht, ist Europameister. GÜNTER KLEIN