Deutscher Blick aufs DFB-Team

Helden oder Versager

von Redaktion

JONAS AUSTERMANN

Kein Nationalspieler steht so sinnbildlich für das ambivalente Verhältnis der Deutschen zu ihrer Nationalmannschaft wie Toni Kroos. Während der Mittelfeldregisseur in seiner sportlichen Heimat Spanien meist für seine stets atemberaubenden Passstatistiken gefeiert wird, hält sich in der Bundesrepublik hartnäckig die Mär vom „Querpass-Toni“. Kroos richtet sich gerne mal gezielt an die zahlreichen Kritiker. Und das gefällt den wenigsten der 82 Millionen Bundestrainer.

In seinem Podcast „Einfach mal luppen“, den Kroos mit Bruder Felix produziert, sagte der Star von Real Madrid nun: „Nach Portugal waren wir Europameister, jetzt haben wir es nicht mehr verdient, weiterzukommen.“ Er bemängelte „die ganzen Fähnchen im Wind“ – also die Fans mit ihren teils grotesken Stimmungsschwankungen. Und ganz falsch liegt Kroos damit nicht. Das Gruppen-Finale gegen die Ungarn geriet zu einer völlig unnötigen Nervenprobe. Das räumte auch Kroos ein, der Bruder Felix in einer ersten Sprachnachricht nach Abpfiff zurief: „Leck mich am A . . .!“ Trotzdem hat die DFB-Auswahl das Achtelfinale erreicht, in der sogenannten Todesgruppe mit Weltmeister Frankreich und Europameister Portugal. Keine Selbstverständlichkeit!

Über die Art und Weise muss freilich diskutiert werden. Eine Stimmungslage nach dem Motto „Deutschland wünscht seiner Auswahl ein möglichst krachendes Scheitern“ ist allerdings völlig unangebracht. Da kommt es äußerst gelegen, dass im Achtelfinale mit England ein Gegner wartet, auf den sich die 82 Millionen Bundestrainer problemlos als echten Rivalen einigen können.

Es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wie die Reaktionen nach dem Showdown in Wembley ausfallen werden. Entweder steht das DFB-Team bereits mit eineinhalb Füßen im EM-Finale – oder aber Joachim Löw und ausgewählte Führungsspieler werden des Landes verwiesen. Der Weltmeister-Titel 2014 reicht da keinesfalls als Verteidigungsschreiben. „Wir sind im Achtelfinale – ob ihr wollt oder nicht“, ruft Kroos den zahlreichen Kritikern zu. Löws Lenker hat übrigens schon wieder die zweitmeisten Pässe aller EM-Teilnehmer an den Mann gebracht. Das interessiert aber bekanntlich die wenigsten der zig Millionen selbst ernannten Bundestrainer. Jetzt zählt nur noch eines: ein Sieg in Wembley.

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