Herzogenaurach/London – Am Sonntag waren beim Training der Nationalmannschaft auf dem Adidas-Campus mehr als die üblichen Beobachter der Medien, zugelassen für ein gutes Viertelstündchen, zugegen. Zuschauen durften auch Herzogenauracher Lokalpolitiker. Sie kamen auf Fahrrädern an, die Tore zum Adi-Dassler-Stadion öffneten sich aber erst nach Rückversicherung der Security-Abteilung: „Alle getestet?“ – „Ja.“
Die Vorsichtsmaßnahmen des DFB, der seine Spieler und die wichtigsten Betreuer in eine Bubble im Herzogenauracher „Homeground“ gepackt hat, sind nach wie vor außerordentlich. Trainingsbeobachter müssen tagesaktuell negativ auf Corona getestet sein, FFP2-Masken und Abstandstracker tragen, Pressekonferenzen finden virtuell statt, nur das Fernsehen darf leibhaftig und etwas näher an die Spieler ran.
Dennoch ist Infektionsgefahr nicht ausgeschlossen: Denn auf Reisen ist es schwer, Fremdkontakte zu vermeiden. Zumal auf dieser: London. Gewohnt wird im Marriott Regents Park, einem sieben Stockwerke hohen Klotz mit 311 Zimmern. Der deutsche Spieler Robin Gosens verspürt ein gewisses Unbehagen – vor allem angesichts der großzügigen Zulassung von Zuschauern im Wembley-Stadion: „Ich finde es grenzwertig, im einzigen Land in Europa, in dem die Inzidenzzahlen nach oben gehen, vor über 40 000 spielen zu müssen. Wir werden zwar abgeschottet, aber es ist alles andere als optimal, wenn man das Gesamtbild sieht.“ Das Thema Infektionsgefahr in London sei „eines, mit dem die Mannschaft sich auseinandersetzt“. Die Sieben-Tage-Inzidenz in Großbritannien betrug am Montag 151,1.
Gosens ist extrem sensibilisiert für den Covid-Komplex, er hat in Bergamo als erster deutscher Fußballer mitbekommen, was das Virus anrichten kann. Er nahm teil am Match Atalantas gegen Valencia im Februar 2020, das im Nachhinein als „Spiel null“ ausgemacht wurde und wohl „das Todesurteil für viele Menschen war“. Gosens ist heilfroh, dass seine Oma, die zu Gast war, nicht erkrankte.
Neun der 26 deutschen EM-Spieler hatten nachweislich eine Corona-Infektion: Ilkay Gündogan, Kai Havertz, Niklas Süle, Emre Can, Jonas Hofmann, Leon Goretzka, Thomas Müller, Serge Gnabry, zuletzt Toni Kroos. Der Nationalmannschaft am nächsten war Corona im März 2021, als der Mönchengladbacher Jonas Hofmann positiv getestet wurde und auch Marcel Halstenberg in Quarantäne musste, weil er mit ihm beim Backgammon gesessen war. Die meisten betroffenen Spieler steckten die Krankheit gut weg, zwei erwischte es schwerer: Ilkay Gündogan ist seitdem Aktivist gegen Corona-Verharmlosung, Kai Havertz erinnert sich: „Mich hat es hart getroffen. Erst nach fünf Wochen konnte ich wieder auf den Trainingsplatz, die Nachwirkungen waren heftig.“
Eigentlich war jeder Spieler (indirekt) betroffen – und sei es durch Positivfälle von Kollegen. Einige erkannten auch ihre gesellschaftliche Verantwortung als Gutverdiener und legten Hilfsprogramme auf: Joshua Kimmich und Leon Goretzka ihr „We Kick Corona“, Florian Neuhaus spendete 250 000 Euro für seine Heimatgemeinde Kaufering, Lukas Klostermann 100 000 für „Coronahelden“ in Gevelsberg, Antonio Rüdiger Pizzen für Pflegepersonal in zehn Kliniken.
Corona soll Vergangenheit sein. Kein Delta-Mitbringsel aus London nach Herzogenaurach.