Abreise durchs Lieferanten-Tor

von Redaktion

Eine letzte Rede von Löw – so endete die „Homeground“-Zeit der Nationalmannschaft

VON GÜNTER KLEIN

Herzogenaurach – Wie Turniere gelaufen sind, das erkennt man daran, wo sie enden. Optimal ist am Brandenburger Tor. Dort stand die deutsche Nationalmannschaft zuletzt 2014 mit dem WM-Pokal. Großes Schlussbild.

Bei der Europameisterschaft 2021 suchten fünf Kamerateams nach der letzten Sequenz, die alles aussagte. Sie hatten sich am Mittwochvormittag aufgestellt am Lieferanteneingang West des Adidas-Werksgeländes im fränkischen Herzogenaurach. Fünfzig Meter hinter dieser Einfahrt markiert ein Bretterzaun den „Homeground“, der der Stammsitz der deutschen Mannschaft während des Turniers war. Zweimal verließ der Mannschaftsbus den Campus, nachdem das mächtige Schiebetor sich geöffnet hatte, gelegentlich auch ein Privatwagen. Die TV-Leute riefen sich die Informationen zu: „Wer ist jetzt weggefahren?“ – „Das war Tim Meyer.“ Der DFB-Doc. Bis zuletzt blieben Joachim Löw, für den der 30. Juni sein letzter Bundestrainertag war, und Nationalmannschafts-Direktor Oliver Bierhoff. Sie erklärten sich in einer Pressekonferenz, eine Stunde lang.

Man war noch in der Nacht zurückgekehrt in den „Homeground“. Das war Bestandteil des Konzepts bei dieser Europameisterschaft: Sich an Auswärtsorten nicht länger aufhalten, als es nötig ist, und die Möglichkeit nutzen, am Flughafen Nürnberg auch nachts landen zu können. My Homeground is my castle. Um 1.29 Uhr setzte die Maschine auf mit dem Team, das sein Achtelfinale in London gegen England 0:2 verloren hatte und die weiteren Reiseziele aus dem Kalender streichen musste: Viertelfinale in Rom gegen die Ukraine, Halbfinale und Endspiel in London. Verpasst. Joshua Kimmich hatte noch im Wembley-Stadion geweint.

In ihrem EM-Basecamp hatten die Spieler „auch wegen der Corona-Einschränkungen 24 Stunden am Tag miteinander verbracht“, so Oliver Bierhoff. Anders als vor drei Jahren im russischen Watutinki lagerkollerte es in Herzogenaurach aber nicht. Während die Franzosen nach ihrem Ausscheiden in fulminante Abrechnungen miteinander einstiegen, herrschte bei den Deutschen lediglich betretene Stille.

Doch einer sprach dann noch. Der scheidende Bundestrainer hielt eine letzte Ansprache, in der er „die Jahre Revue passieren“ ließ, den Spielern und den Betreuern dankte. „Viele dieser Menschen haben mich sehr lange begleitet.“ Danach sprach Bierhoff zum Ende der Ära Löw. Spieler meldeten sich in dieser Nacht nicht zu Wort. Am Mittwochvormittag verabschiedete Löw seine Spieler noch einzeln. Er versicherte ihnen, „dass ich mit jeder Faser hoffe, dass sie erreichen, was sie sich vorstellen.“ Jedoch ohne ihn, Am Nachmittag verschwand auch er.

Vorbei am Containerdorf der TV-Anstalten, die drei Wochen berichtet hatten. Und an der Corona-Teststation, die täglich alle durchlaufen mussten, die irgendwie mit der Europameisterschaft zu tun hatten.

Herzogenaurach war schnell Vergangenheit, Sinnbild eines glanzlosen und leisen Endes.

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