EURO-Fieber: Jetzt erst recht!

von Redaktion

Deutschland ist raus aus der EM – die Luft für die Fans auch? Eine Umfrage unter Journalisten

München – Klar, die Grundstimmung ist seit Dienstag, 19.52 Uhr, eher depressiv. Deutschland aus der EM ausgeschieden, unsere 15 Jahre mit dem Bundes-Jogi vorbei, keine Final-Party in Schwarz-Rot-Gold – und jetzt? Fernseher aus und Trübsal blasen? Eher nicht. Unsere Zeitung hat sich deutschlandweit bei Kollegen umgehört und Anregungen eingesammelt, warum man das Turnier auch ohne das DFB-Team nicht in die Tonne treten sollte.

In meiner Brust schlagen zwei Herzen. Eins für die deutsche Nationalmannschaft, eins für die Bundesliga. Das eine leidet, das andere schlägt noch. Es wird sogar schneller schlagen, wenn die Schweiz antritt: Da spielen gefühlt nur Bundesligaspieler. Wenn ich denen zuschaue, geht mein Herz auf. ZDF-Experte Sandro Wagner sprach mir beim Spiel gegen die Franzosen aus der Seele: „Gefühlt spielen jetzt alle Gladbacher. Außer Stindl.“ Jetzt schaue ich die EM einfach mit diesem Herzen weiter.

Löws Elf ist raus. Na und? Opportunisten kommen bei Turnieren immer weit. Im Kleiderschrank hängt noch ein England-Trikot. Ist aus den 90ern, aber zum Glück war ich ein molliges Kind. Und so werde ich ab sofort mit den Three Lions auf der Brust im TV-Sessel sitzen. Vor mir schaumloses Bier. Ja, auch Opportunisten leiden manchmal. And I have a dream: Im Finale zittert sich England gegen Italien mit 0:0 ins Elferschießen. Kane gelingt der finale Schuss. Auf der Tribüne geht die Queen aus dem Sattel, ehe sie William und Harry knuddelt. Der Zwist ist vergessen, England ist die Elfer-Phobie los. Was für eine EM!

Deutschland ist raus: Kein Grund, um jetzt, da es spannend wird, abzuschalten. Meinetwegen könnte der Modus ohnehin geändert werden: 24 Teams von Beginn an im K.o.-System – knackiger geht’s nicht. Das Achtelfinale hat Lust auf mehr gemacht. Mehr Jubel, mehr Verlängerungen, mehr Elfmeterschießen. Vor allem aber möchte ich die Engländer noch oft auf Knien sehen als Zeichen gegen Rassismus und hoffen, dass die Geste nachwirkt.

So schade, wie das deutsche Ausscheiden bei der EM auch ist, die letzten sieben Spiele versprechen genügend Spannung und Emotionen, um am Ball zu bleiben. Denn, das haben die Achtelfinals eindrucksvoll gezeigt, K.o.-Spiele haben ihren ganz eigenen Reiz. Nach der durch den 24er-Modus doch recht zähen Vorrunde zählt jetzt jede Aktion. Favoriten gibt es nur noch auf Papier. Dass die Mannschaften zudem leistungstechnisch näher beieinander liegen, als das in Bundesliga und Champions League meist der Fall ist, erhöht den Reiz zusätzlich. Einen Grund, die EURO sofort zu beenden, hätte ich dann allerdings schon: Ich führe schließlich knapp im Tippspiel.

Ich sehe das ganz pragmatisch: Deutschland ist raus. Damit werden meine Nerven ab jetzt geschont, und ich kann mich entspannt auf die (noch hoffentlich vielen) Spiele der Italiener freuen. Abgesehen davon: So Niederlagen können für Kinder ganz schön hart sein. Bei der WM 2018, als „wir“ gegen Südkorea rausflogen, hatte ich sechs Grundschul-Jungs daheim auf dem Sofa sitzen, die erst Tränen vergossen und dann so viel Eis und Schokolade in sich gestopft haben, dass ihnen furchtbar übel wurde (und ich den Ärger der anderen Mütter an der Backe hatte). Das kann jetzt nicht mehr passieren. Dafür heißt es bei uns: Forza, Italia!

Viertelfinale ohne den Weltmeister und den amtierenden Europameister, ohne Deutschland und Holland. Krass! Und jetzt? Langeweile? Mitnichten. Die mit vielen Bundesligaprofis und großartiger Moral ausgestatteten Schweizer gegen die Real-Madrid-losen Spanier, dazu die coolen Belgier gegen die zumindest in der Vorrunde auftrumpfenden Italiener – ja, das können auch für neutrale Fans Fußballfeste werden. Prognose? Schwierig.

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