München – Albrecht Dürer hätte diese Bilder, die sich in der Nacht nach dem Achtelfinal-Aus auf dem nach ihm benannten Flughafen in Nürnberg abspielten, nicht treffender malen können.
Joachim Löw (61) spaziert nach der Ankunft aus London über das Rollfeld. Sein Sakko hat der scheidende Bundestrainer über den Griff seines Koffers geworfen. Sein Blick ist gesenkt. Er wirkt gedankenverloren. Es sind Szenen, die zeigen, wie sehr Löw dieses 0:2 gegen England, mitnimmt. „Es war nicht der Abschied, den wir uns alle vorgestellt haben. Die Enttäuschung sitzt sehr, sehr tief“, sagte Löw auf seiner Abschiedspressekonferenz am Mittwoch in Herzogenaurach. „Ich hatte und habe absolutes Vertrauen in diese Mannschaft. Es tut mir leid, dass wir unsere Fans enttäuscht haben. Ich übernehme die Verantwortung für das Ausscheiden – ohne Wenn und Aber.“
Bei seinem letzten Turnier als DFB-Trainer wurde Löw vor allem Sturheit vorgeworfen. Gründe: Er stellte Joshua Kimmich nicht im defensiven Mittelfeld auf. Rückkehrer Thomas Müller durfte auch nicht auf seiner Lieblingsposition ran. Und in der Defensive verteidigte er stets seine ungewohnte Dreierkette mit zwei zusätzlichen Außenverteidigern. Auch seine Einwechslungen waren für Beobachter fragwürdig. Löw selbst sprach nach dem EM-Aus davon, dass die Mannschaft „noch erwachsener“ werden müsse, es fehle an „Reife und Erfahrung in gewissen Situationen“.
Diese Aussage mutet auf den ersten Blick etwas seltsam an. Einerseits war die Startelf des WM-Finals 2014 um mehr als ein Jahr jünger als die Formation am Dienstag. Andererseits hatten fast alle DFB-Stars, die in London von Beginn an eingesetzt wurden, Champions-League- bzw. WM-Endspiel-Erfahrung. Ausnahme: Robin Gosens, Matthias Ginter. Löw erklärte seine nach Schlusspfiff getätigte Aussage am Mittwoch so: „Wir haben viele Spieler, die noch nicht viel Turnier-Erfahrung haben. Man braucht auch die Kaltschnäuzigkeit in den entscheidenden Momenten, das hat ein bisschen gefehlt.“
Der Trainer lobte aber die Mentalität der Mannschaft. Das Team sei noch nicht am Leistungslimit. „Wir hatten nicht so die Gelegenheit – bedingt durch Corona und Verletzungen – diese Mannschaft so einzuspielen und so zu formen, wie es für so ein Turnier wichtig ist“, meint Löw. Noch in der Nacht des Ausscheidens verabschiedete sich der Trainer persönlich von der Mannschaft und den Betreuern. Löw betont: „Viele dieser Menschen habe mich lange begleitet und unterstützt. Von daher lag es mir am Herzen, mich zu bedanken für den Einsatz und das Vertrauen, das sie immer in mich hatten.“
Fakt ist: Seine letzten drei Jahre als Bundestrainer waren enttäuschend. Fakt ist aber auch: Löw hat Deutschland in seinen 15 Jahren als Bundestrainer auch stolz gemacht. Vor allem mit dem WM-Titel 2014. Der Nationalmannschaftsrücktritt von Mesut Özil nach dem Foto mit dem umstrittenen türkischen Präsidenten Recep Erdogan beschäftigt Löw aber noch immer. „Es war für mich eine große menschliche Enttäuschung, als Mesut zurückgetreten ist und wir in den Wochen danach nicht persönlich gesprochen haben“, sagt Löw. „Mesut war für uns ein großartiger Spieler. Es wird der Tag kommen, wo wir uns beide aussprechen werden und alles beiseite legen, was zum Schluss war.“
Mehr Pläne hat Löw nach seinem DFB-Aus nicht. Nachfolger Hansi Flick (56) wünsche er viel Erfolg. Löw: „Ich werde mit jeder Faser hoffen, dass diese Spieler das erreichen, was sie sich wünschen. Mein Herz schlägt schwarz-rot-gold.“ Ein bitterer Abschied, aber einer mit Stil. PHILIPP KESSLER UND MANUEL BONKE