„Eins mit Sternchen“

von Redaktion

Italien-Ikone Dino Zoff über Nationaltrainer Mancini und die EM-Chancen des aktuellen Teams

München – Die Belgier träumen vom ersten Titel, die Italiener vom Ende einer langen Durststrecke: Doch für einen der beiden großen EM-Favoriten wird es in München schon im Viertelfinale ein böses und frühes Erwachen geben. Erwischt es die goldene, aber schon alternde Generation der „Roten Teufel“ um Superstar Kevin De Bruyne? Oder kommt das plötzliche Aus für die neu zusammengestellte und bislang gefeierte Squadra Azzurra von Maestro Roberto Mancini? So oder so: Das Duell am Freitag (21 Uhr, ZDF & MagentaTV) ist ein echter Kracher, ein vorweggenommenes Finale – ohne einen klaren Favoriten.

Und der Glaube, dass die wunderbare Reise über München zum Halbfinale und Endspiel nach Wembley weitergeht, ist bei beiden Teams riesig. „Italien ist eine wahre Mannschaft. Die Azzurri sind alle gefährlich. Aber wir können sie stoppen“, sagt Belgiens Dries Mertens, der beim SSC Neapel unter Vertrag steht. Jede Mannschaft habe „Schwachpunkte“, auch Belgien, kontert der Italiener Jorginho: „Wir müssen sie entdecken und nutzen.“ Worauf es noch ankommt, weiß Italiens Torwartlegende Dino Zoff (79). 1968 wurde er als Schlussmann Europameister, 1982 als Kapitän Weltmeister und im Jahre 2000 als Trainer der italienischen Nationalelf EM-Zweiter. Im Interview mit unserer Zeitung erklärt Zoff, warum die aktuelle Generation der Squadra Azzurra auch das Zeug zum ganz großen Wurf hat.

Signore Zoff, das Wichtigste vorab: Wie geht es Ihnen?

Glücklicherweise gut, danke der Nachfrage! Ehrlich gesagt genieße ich diese wunderbare Europameisterschaft mit all ihren Überraschungen. Es macht großen Spaß, die Spiele zu verfolgen.

Hätten Sie den tollen Fußball der Italiener in dieser Form erwartet?

Auf jeden Fall, ja. Ich verfolge die Squadra ja nicht nur seit der EM, sondern habe auch die Partien davor gesehen. So makellos ihr Weg hin zur  EURO war, so überzeugend haben sie auch im Turnier weitergemacht. Das kommt nicht von ungefähr. Auch wenn so manch einer anderer Meinung sein wird: Die Zahlen lügen nicht. Auch im Fußball nicht.

Wie bewerten Sie die Arbeit von Nationaltrainer Roberto Mancini?

Eins mit Sternchen! Bis jetzt war sie so gut wie perfekt. Er hat aus jedem Spieler das Maximum herausgekitzelt, hat zudem seinen ganzen Kader gebraucht und einen Fußball spielen lassen, der ansehnlicher nicht sein könnte. Man merkt: Er hat eine Mannschaft geformt, die zusammengeschweißt ist und an sich glaubt. Mancini gebührt höchste Anerkennung.

So manch einer sagt, die Italiener seien so souverän durchmarschiert, weil sie es bis dato noch mit keinem Top-Team zu tun bekommen haben. Warten Sie mit ihrem Fazit daher auch lieber ab?

Top-Mannschaften? Die Top-Mannschaft sind doch wir! (lacht). Seien wir mal ehrlich: Das ist doch alles nur Gerede. Fest steht: Italien hat es bislang überragend gemacht, wofür man unsere Squadra auch loben darf und soll. Und was von vermeintlichen Top-Teams zu halten ist, hat ja bereits die Schweiz gezeigt.

Was für ein Spiel erwarten Sie gegen Belgien?

Erst mal kommt es darauf an, ob Kevin De Bruyne fit und im Vollbesitz seiner Kräfte ist. Er ist derjenige, der bei den Belgiern den Unterschied ausmachen kann. Die anderen Spieler sind natürlich allesamt auch sehr talentiert, aber Italien begegnet ihnen auf Augenhöhe. Es wird ein ausgeglichenes Spiel, bei dem am Ende die Details entscheiden werden.

Ist Giorgio Chiellini imstande dazu, Romelu Lukaku Einhalt zu gebieten?

Es kommt darauf an, ob Giorgio physisch wieder bei hundert Prozent ist. Das letzte Wort wird Mancini haben, und ich vertraue in seine Expertise. Er wird schon wissen, wie man Lukaku da vorne stoppt.

Wie fällt Ihre Meinung zu den restlichen Mannschaften aus? Irgendeine, die Sie im bisherigen Turnierverlauf überrascht oder auch enttäuscht hat?

Die Belgier waren bis jetzt unter den souveränsten und besten Mannschaften. Auch die Formkurve der Spanier zeigt nach oben – und das, obwohl ihr Start in die EM alles andere als zufriedenstellend war. Da sieht man, wie wichtig es ist, im Laufe eines Turniers zu einer Einheit zusammenzuwachsen und an sich zu glauben.

Wie erklären Sie sich, was den Franzosen widerfahren ist?

Ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht haben sie die Schweizer doch unterschätzt. Im Sport ist das nichts Neues, schließlich kommt es immer wieder vor, dass der vermeintliche David den großen Goliath stürzt. In dem Moment, in dem du dich als Sieger wähnst, hast du verloren.

Auch die Deutschen sind am Ende krachend gescheitert . . .

Nun gut, die Formkurve der deutschen Mannschaft war ja schon seit Längerem nicht die konstanteste. Irgendwo war ihr Ausscheiden daher abzusehen. Ich bin mir nicht sicher, ob sich ihrer fußballerischen Stagnation mit einem Generationenwechsel entgegenwirken lässt – dass sie ein Problem haben, steht aber definitiv fest.

Höchste Zeit also, dass Jogi Löw abgetreten ist?

Diese Antwort werden die Zukunft und die Deutschen selbst liefern müssen.

Zu guter Letzt, Signore Zoff: Welche Mannschaften erwarten Sie am Sonntag, 11. Juli, im Finale von London?

Um ehrlich zu sein, bin ich mir noch etwas unsicher. Die EM bis hierhin hat gezeigt, dass nichts unmöglich ist, jeder jeden schlagen kann. Wer im Endspiel steht, interessiert mich auch nicht wirklich. Entscheidend ist, dass Italien dabei ist. Gegen wen, ist mir egal.

Interview: Mirko Calemme

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