Frankfurt – Wenn es nach Philipp Lahm geht, kann Sönke Wortmann den Drehbeginn für die zweite Episode seines „Sommermärchens“ schon planen. „Die EURO 2024 hat sich vorgenommen, Grenzen zu überschreiten und Brücken zu bauen“, sagte der Turnierdirektor der nächsten Fußall-EM: „In unserem Land soll wieder ein Gemeinschaftsgefühl entstehen – 18 Jahre nach 2006 und mit einer neuen Generation, die erstmals ein solches Heimturnier erleben darf.“ Klingt nach dem Drehbuch für einen Film.
Doch bei aller Hoffnung, die der Weltmeister von 2014 von Amts wegen auch zuletzt wieder in einem „kicker“-Interview verbreitete, stehen große Fragezeichen hinter der Endrunde. So kann niemand sicher vorhersagen, dass die Corona-Pandemie überhaupt keine Rolle mehr spielen wird. Wie es um den Stellenwert der kontinentalen Meisterschaften angesichts der WM-Pläne im Zweijahres-Rhythmus steht, ist ebenfalls offen – auch wenn frühestens 2028 für die FIFA in Frage kommen würde, ein zusätzliches WM-Turnier anzubieten (nach 2026 in den USA, Kanada und Mexiko). Dazu kommt das schwindende Vertrauen in den dauerkriselnden Deutschen Fußball-Bund (DFB) und die heftig kritisierte Europäische Fußball-Union (UEFA) – gepaart mit der wachsenden Ablehnung von Großveranstaltungen in der Bevölkerung.
Auch rein sportlich besteht mit Blick auf das Abschneiden der deutschen Mannschaft bei der laufenden Endrunde nicht allzu viel Zutrauen in das Team des neuen Bundestrainers Hansi Flick. Das alles lässt kaum etwas übrig von der Freude, die es am 27. September 2018 gegeben hatte – als sich Deutschland bei der Abstimmung des UEFA-Exekutivkomitees in der Verbandszentrale im Schweizerischen Nyon am Genfer See mit 12:4 gegen den Mitbewerber Türkei durchsetzte und Philipp Lahm einer Umarmung des damaligen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel nicht ausweichen konnte. Für den war es der große Erfolg seiner Amtszeit, wieder ein Turnier nach Deutschland geholt zu haben.
Was trotz aller Unwägbarkeiten im Vorfeld der zweiten EM-Endrunde in Deutschland nach 1988 mit einem überschaubaren Feld von acht teilnehmenden Nationen feststeht, sind also lediglich die anvisierten Rahmenbedingungen. Gespielt werden soll im Juni und Juli in zehn Städten, die sich in einem Bewerbungsverfahren durchgesetzt haben. Die Arenen in Berlin, Dortmund, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Gelsenkirchen, Hamburg, Köln, Leipzig, München und Stuttgart müssen aber teilweise renoviert werden – rund 300 Millionen Euro soll das kosten. Letzte Erneuerungen im großen Stil hatte es zur WM 2006 gegeben. Insgesamt könnten in drei Jahren bei der EM 2,78 Millionen Zuschauer die 51 Partien in den Stadien erleben. Die Auslosung der sechs Vierergruppen ist für Dezember 2023 in der Hamburger Elbphilharmonie geplant. Die Leipziger Messe wird Standort des International Broadcast Centre (IBC). Alle Spiele werden frei empfangbar im TV zu sehen sein. ARD und ZDF übertragen 34 Partien, RTL 17. Alle Begegnungen laufen zudem beim eigentlichen Rechte-Inhaber MagentaTV.
Neu hinzu kommt bei der nächsten EM der Umweltaspekt. Deutschland soll sich nach dem Willen des DFB für die Dauer der Endrunde komplett klimaneutral präsentieren. Für die Umsetzung des ambitionierten Vorhabens will der Verband die Politik und die Gesellschaft mobilisieren. Die Allgemeinheit wird allerdings nicht in der Form von der EM profitieren, wie das Kritiker verlangen. Schließlich hat die Bundesregierung der UEFA heftig umstrittene Steuer-Erleichterungen zugesagt. Dabei handelt es sich um Nachlässe bei der Einkommens- und Körperschaftssteuer, über deren genaue Höhe mit Verweis auf das Steuergeheimnis geschwiegen wird. Dass die Steuergeschenke an die UEFA von vielen Seiten kritisch gesehen werden, überrascht nicht. Schließlich plant der Verband bei der laufenden Endrunde mit Einnahmen von knapp zwei Milliarden Euro – ohne Corona wären es sogar deutlich mehr gewesen. Der Gewinn dürfte bei 800 Millionen Euro liegen.
Zwei Jahre vor der EM 2024 muss allerdings erst der Weltverband FIFA beweisen, dass die von Korruptionsvorwürfen überschattete und wegen der Menschenrechtsfrage heftig kritisierte Vergabe der WM-Endrunde nach Katar doch richtig war. In ziemlich genau 500 Tagen startet die Winter-WM im Emirat, bei der am vierten Advent der neue Weltmeister gekrönt wird. Eine mögliche, eigentlich sogar klar absehbare Image-Verschlechterung des Fußballs könnte sich auch eineinhalb Jahre später auf die Europameisterschaft 2024 auswirken. sid/gük