TV-KRITIK
Freunde, Römer, Landsleute! Gestern war Abschiednehmen angesagt. Denn völlig überstürzt ist die Europameisterschaft nach nur vier Wochen auch schon wieder vorbei. Die Sender hatten überlegt, ihre Plauderrunden auch ohne EM fortzusetzen, nach dem Motto: „Wir brauchen keinen Fußball, um über Fußball zu reden!“ Nun ist aber doch Schluss. Wir haben dem redelustigen Völkchen ein letztes Mal zugeschaut, bevor uns bald wieder Lothar Matthäus den Fußball erklären dud.
Ciao, Telekom: Johannes B. Kerner, der fleißigste EM-Mensch, hat sich mit 51 Spielen Marathon-Labern den Mund fusselig geredet. Der Baptist klang gestern heiser, ließ sich aber nicht vom schopenhaueresken Philosophieren abhalten: „Die Mannschaft, die das letzte Spiel gewinnt, hat verdient gewonnen.“ Da spricht manches dafür. Michael Ballack erkannte zurecht: „So ein EM- und WM-Finale ist etwas, was man sehr selten erreicht, und manche überhaupt nicht.“ Er muss es wissen, er ist ja Experte fürs Nicht-Erreichen. Wie Jan Henkel die Torhüter sezierte, war phänomenal. Über Englands Wackel-Keeper Jordan Pickford: „Der spielt den Ball dem Gegner in die Füße, das ist natürlich Wahnsinn.“ Bei Italiens Gigio Donnarumma erkannte er: „Abstoß, das machen die Italiener so wie die deutsche Frauen-Nationalmannschaft.“ Wenn das unsere Almuth hört! Henkel hat neue Maßstäbe in Sachen Analyse gesetzt.
Tschüss, ZDF: Hurra, Chris Kramer war wieder da! Der Wahrsage-Gladbacher hatte bereits am zweiten EM-Tag in seiner Glaskugel Europameister England erspäht, schwenkte aber gestern zum offensivfreudigeren Italien um. Er legte zusammen mit Per Mertesacker und Jochen Breyer einen launigen Final-Prolog hin. Merte, von Kramer liebevoll „Langer“ genannt, verriet: „Ich hab von Arsenal bis morgen um eins freibekommen“, wegen möglicher Feierlichkeiten oder wegen EM-Kater. Breyer erkundigte sich beim Langen: „Chiellini ist dein Jahrgang. Erklär uns, warum er in diesem Alter noch mithalten kann, während du armer Tropf hier bei uns in diesem Studio sitzen musst.“ 2022 sitzen die drei armen Tröpfe hoffentlich wieder im ZDF-Studio. Denn mit ihnen macht womöglich sogar eine WM in Katar Spaß.
Servus, Sandro: Sandro Wagner ist der Jürgen Klinsmann des Fußball-TV. Er macht jeden Kommentator jeden Tag ein bisschen besser. Der bisweilen fahrige Béla Réthy ebenso wie gestern der sprachlich weniger virtuose Oliver Schmidt – beim Haching-Trainer blühen sie auf. Vielleicht könnte man sich neben Wagner sogar Claudia Neumann anhören. Wobei, wir wollen den armen Tropf nicht mit übermenschlichen Aufgaben überfordern. Gestern erledigte der Sandro wieder alle Jobs auf einmal. Dottore Wagner, der schon den Kreuzbandriss von Spinazzola als erster erspäht hatte, erklärte anhand von Italiens Jorginho den „Schubladentest“ zur Knie-Diagnose. Als Italienisch-Dolmetscher war er auch im Einsatz: „Il coro italiano molla mai, das italienische Herz gibt nie auf.“ Mit „cuore italiano“ wär’s zwar noch schöner gewesen, aber insgesamt doch ein ganz anderes Italienisch-Niveau als bei Signora Wellmer. Molto bene, wie das Duo harmonierte. Schmidt: „Bei den Kopfbällen hat Immobile natürlich Schwierigkeiten.“ Darauf Wagner: „Da braucht’s ne Leiter.“ Für die zwei vom Zweiten braucht’s keine Leiter, das war schon ziemlich groß. JÖRG HEINRICH