Olympias „Moment der Hoffnung“

von Redaktion

Die Spiele sind eröffnet: Freude bei Sportlern, Befürchtungen in Bevölkerung

VON GÜNTER KLEIN

Tokio/München – 431 Sportler aus Deutschland haben sich für die Olympischen Spiele qualifiziert, zur Eröffnungsfeier gehen nie alle. Bei manchen stehen schon am nächsten Morgen die ersten Wettkämpfe an, sie wollen sich den Medaillentraum nicht mit in den Bauch gestandenen Beinen zerstören, andere, die erst in der zweiten Woche dran sind, reisen später an und erleben die erste Phase von Olympia noch am Fernseher. Diesmal verzichteten Handballer, Reiter und Tischtennisspieler auf den Einzug ins Olympia-Stadion. 115 Athletinnen und Athleten, angeführt von den gemeinsam die Fahne tragenden Laura Ludwig (Beachvolleyball) und Patrick Hausding (Wasserspringen), nahmen die Möglichkeit wahr, die Eröffnung der um ein Jahr verschobenen Spiele in Tokio mitzuerleben. „Alle sind gut drauf, es herrscht eine grandiose Stimmung“, berichtete Ludwig mit sprudelnder Freude davon, dass das Leben im Olympischen Dorf sich gar nicht so eingeschränkt anfühle, wie die Umstände einer beispiellosen Pandemie es vermuten ließen.

Die überschaubare deutsche Delegation war also mit heißem Herzen dabei, als Japans Kaiser Naruhito am Freitag um 23.15 Uhr Ortszeit die Sommerspiele der 32. Olympiade für eröffnet erklärte. Um 23.38 Uhr züngelte auch das Olympische Feuer in den Nachthimmel – entflammt von Tennisstar Naomi Osaka, der derzeit bekanntesten Sportpersönlichkeit Japans.

Der Kaiser, der sich mit gesellschaftspolitischen Äußerungen aufgrund der Würde seines hohen Amtes zurückhält, hatte die Spiele im Vorfeld als „schwierig“ bezeichnet und sich damit ungewöhnlich klar positioniert. Das große olympische Projekt, 2011 nach der Tsunami- und Atomkatastrophe von Fukushima noch willkommen geheißen, hat seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie an Rückhalt verloren. Obwohl die Zahlen in Japan bei Weitem nicht so dramatisch klingen: Am Freitag meldete das Land 5366 Neuinfektionen, die Sieben-Tage-Inzidenz lag bei 21,3 (vergleichbar dem aktuellen Münchner Wert). Doch man befindet sich zum vierten Mal im Notstand, eine fünfte Welle wird befürchtet. Ausgelöst von Einreisenden aus 205 Ländern, die bei Olympia vertreten sind. Auch in der olympischen Blase ist es zu Infektionen gekommen: bei zwölf Sportlern, drei Medienvertretern, 32 Angestellten, 51 Zulieferern, einem Volunteer – 107 Fälle seit 1. Juli, vor Vergabe der ersten Medaille.

Alle bei der Eröffnungsfeier trugen Masken, die wenigen hundert politischen Ehrengäste, die Sportler, die ins Stadion mit den bunten, aber eben leeren Sitzschalen einliefen. Anders als sonst im Gedränge der Spiele hatten sie danach Platz, sich auf den Boden zu setzen und das weitere Programm zu verfolgen. Die Argentinier hüpften und tanzten, die Portugiesen waren extrem ausgelassen, die Delegation aus Uganda tanzte, in nahezu allen Mannschaften wurden die Smartphones hochgehalten. Wer nicht die dunklen Ränge filmte, nahm sich selbst auf. Viele haben nur diese eine Olympia-Chance. Sie hoffen auf Normalität im Olympischen Dorf, wo es nicht anders zugehen soll, als man es von den Spielen kennt (mit internationalem Austausch in der Mensa), auf infektionsfreie Wettkämpfe und darauf, dass sich die Japaner irgendwie doch noch mit diesen Spielen identifizieren können. Berichtet wurde von Menschen, die am Straßenrand standen und den Shuttles auf dem Weg ins Stadion zuwinkten.

IOC-Präsident Thomas Bach, in Japan massiv unbeliebt und auch in Kreisen der Sportler umstritten, versuchte den Gastgebern („liebenswürdig, großzügig“) und den Olympia-Teilnehmenden zu schmeicheln: „Ihr habt gekämpft, durchgehalten, nie aufgegeben, ihr seid wahre olympische Athleten.“ Dem Motto des „Höher, schneller, weiter“ hat das IOC ein „Gemeinsam“ beigestellt. Der Sonntagsreden-Bach vernahm „die Botschaft von Frieden und Resilienz“. Die Spiele, lange auf der Kippe, haben begonnen. Bach: „Ein Moment der Hoffnung.“

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