Von Neckermann bis Werth

Die goldenen Reiter

von Redaktion

VON ARMIN GIBIS

Die beliebteste Tabelle bei Olympischen Spielen ist bekanntlich der Medaillenspiegel. Das nationale Ranking, das globale Examen für sportliche Leistungskraft. Doch in den ersten drei Tagen sah es da aus deutscher Sicht ziemlich frustrierend aus. Gerade mal drei Bronzemedaillen standen zu Buche, eine sehr magere Ausbeute. Im Medaillenspiegel schlug sich das zwischenzeitlich mit Rang 41 nieder. Hinter dem Kosovo (!), den Philippinen (!!) und Österreich (!!!), in der Nacht zum Dienstag überholte uns gar der Inselstaat Bermuda (!!!!). Da konnte es einem schwer ums deutsche Sportlerherz werden.

Doch der erfahrene Olympia-Fan wusste, dass am Tag 4 der Tokio-Spiele die Wende, der erste goldene Lichtblick kommen würde. Sicher, mit Ricarda Funk war als Kanuslalom-Olympiasiegerin nicht unbedingt zu rechnen gewesen. Dafür umso mehr mit den Gold-Garanten schlechthin: dem Dressurreiter-Team. Seit 1964 haben die Damen und Herren mit Zylinder, Frack und weißer Reithose zwölf von 15 möglichen Gold-Plaketten errungen (plus 20 Einzelmedaillen). Aus olympischem Blickwinkel gesehen, ließe sich durchaus die These aufstellen: Wir Deutschen sind eine Nation der Dressurreiter.

Dabei dürften im Normalfall selbst die routiniertesten Olympia-Langzeit-Zuschauer höchstens vage Vorstellungen davon haben, worum es beim Tanz der Pferde ganz genau geht. Selbst der legendäre Über-die-Pferde-Flüsterer Hans-Heinrich Isenbart, Reitsport-Erklärer der ARD, konnte da einst nur rudimentäre Aufklärungsarbeit leisten. Die Feinheiten von Piaffe, Traversale oder Pirouette sind nur einem kleinen Fachpublikum bekannt. Und es lässt sich wohl auch nicht bestreiten, dass es sich hier um eine vergleichsweise unspektakuläre Sportart handelt. Doch bei Olympia zählt eben vor allem der Stoff, aus dem die Träume sind: Medaillen. Und die liefern die deutschen Dressurreiter mit größter Zuverlässigkeit eben schon seit über einem halben Jahrhundert. Von Josef Neckermann, dem milliardenschweren Versandhaus-Besitzer, der anno 1972 in München mit 60 Jahren noch Team-Silber holt, bis hin zur nun siebenfachen Olympiasiegerin Isabella Werth – die Dressurreiter sind fester Bestandteil der deutschen Sportgeschichte.

Heute steht in Tokio die Einzel-Kür an. Unser Tipp: Freuen Sie sich schon mal auf das nächste Edelmetall.

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