München – Deutschlands Goldgarant lag noch auf der Couch. „Gestern beim Training habe ich ziemlich rangeprügelt. Gleich gibt es erst mal einen Mittagsschlaf“, sagte Johannes Vetter unserer Zeitung am Telefon.
Füße hoch, der muskulöse Körper nur im Handtuch eingewickelt, Kaffee in der Hand. Eine ziemlich entspannte Vorbereitung auf den wichtigsten Wettbewerb des Jahres. Aber Vetter schuftet ja auch genug. Da reicht schon ein Blick auf Instagram, dort sieht man Trainingsvideos, wie der 28-Jährige die Gewichte in die Höhe katapultiert: „Ich bin immer im Beast-Mode. Egal, ob gerade Wettkämpfe sind oder nicht. Ich pushe mich immer bis zum Limit und darüber hinaus.“ Aber genau diese Wettkämpfe hat Vetter dieses Jahr dominiert. Sieben Mal in Folge hat er den Speer über die 90-Meter-Marke geschleudert, zudem die Weltjahresbestleistung aufgestellt (96,29).
Ausgerechnet bei der Olympia-Generalprobe, beim Diamond-League-Meeting im britischen Gateshead, riss die Serie mit 85,25 Metern. Vetter sprach anschließend vom „beschissenen Belag“. Vetter und der rutschige Untergrund, ein Problem, das sich trotz der starken Leistungen schon über Monate zieht.
Aber der Favorit beruhigt: „In Tokio wird es einen sehr harten Belag geben. Es ist wichtig, dass die Veranstalter für dieses Thema sensibilisiert werden. Ist der Belag zu weich, ist die Verletzungsgefahr einfach zu hoch.“
Mittlerweile ist Vetter in Japan gelandet. Um die Wartezeit am Flughafen zu überbrücken, spielte er eine Runde Badminton mit Trainer Boris Obergföll. Die Stimmung ist bestens, im Precamp in Miyazaki werden die letzten Vorbereitungen für Gold getroffen. Die Schulklassen der Stadt bastelten Origamis und begrüßten die deutschen Leichtathletik-Stars mit Plakaten. Aus Dankbarkeit für die gute Organisation gab Vetter dem Online-Portal der Stadt ein Interview. Vetter erzählte, er freue sich jetzt schon auf Sushi, sein Lieblingsessen. Die japanischen Reporter versprachen: „Ganz Miyazaki wird man bis Tokio hören, wenn wir für dich schreien und die Daumen drücken, dass du Speerwurf-Gold holst.“ Vielleicht sorgt das für etwas Stimmung im weitestgehend leeren Stadion. Eine digitale Kulisse habe er noch nicht erlebt, sagt Vetter, aber es sei besser als nichts.
Der Offenburger sieht die Spiele als Chance für den Sport: „Der Fokus auf die Wettbewerbe wird viel größer sein ohne das ganze Drumherum. Ich glaube, die Spiele werden anders in den Köpfen verbleiben. Alle erwarten mit Spannung, wie Olympia ablaufen wird. Wir haben die große Chance, diese Bühne für uns zu nutzen.“
Der Druck auf der Weltbühne macht Vetter nichts aus. Klar sei er Favorit und das lasse sich nicht kleinreden, aber die Rolle nehme er auch gerne an. Dass Vetter dieses Jahr trotz nicht immer perfekter Technik und Ausrutschern konstant überzeugte, sei ein „enorm beruhigendes Gefühl“: „Es wäre doch langweilig, wenn schon alles perfekt wäre.“ Da es auf diesem hohen Niveau immer noch Stellschrauben gibt, an denen gedreht werden kann, traut Vetter sich auch einen Wurf über 100 Meter „auf jeden Fall zu“.
Aber erst mal zählt die Goldmedaille. Um die zu gewinnen, will er sich nicht verrückt machen, sondern auf die Grundlagen seiner Disziplin vertrauen: „Ich laufe an und haue drauf“, blickt Vetter auf seinen Auftritt nächste Woche. Diesen will er „nicht mit angezogener Handbremse“ angehen. Schließlich sei genug Zeit zum Ausruhen vergangen, um dann eine „Bombe platzen zu lassen“.