Tokio – Florian Wellbrock zog an allen vorbei, berührte als Erster die Wand – aber das Rennen war noch nicht zu Ende. Der Doppel-Weltmeister hatte im Poker um Gold zu früh gezuckt: Nach 750 m wäre er Olympiasieger gewesen, 30 Sekunden später blieb nur Blech. „Es war vielleicht ein Tickchen zu doll, ein Tickchen zu früh“, gab der deutsche Schwimmstar nach seinem überhasteten Endspurt im 800-m-Finale von Tokio zu: „Das war der Knackpunkt.“
Enttäuschung war dem 23-jährigen gebürtigen Bremer kaum anzumerken, sachlich analysierte er Teil eins seiner Goldmission. Eigentlich begann sie nach Plan. Seinen großen Rivalen Gregorio Paltrinieri, nach Pfeifferschem Drüsenfieber in Rekordzeit wieder erstarkt, hatte Wellbrock eingeholt, sich vom ukrainischen Europameister Michailo Romantschuk abgesetzt – das erste Olympiagold für einen deutschen Schwimmer seit Michael Groß 1988 war greifbar nahe.
Doch er hatte sich verzockt. Die Körner für die Schlussoffensive waren verbraucht, weil er 50 m früher als sonst das Tempo verschärft hatte. „Es hat hintenraus nicht gereicht, was sonst meine Stärke war. Es war ein bisschen unkontrolliert“, meinte Wellbrock. Paltrinieri, den er „normalerweise auf den letzten Metern im Griff“ hat, schnappte sich noch Silber, Romantschuk Bronze – und von hinten flog der Amerikaner Robert Finke vorbei zu Gold.
„Der vierte Platz ist natürlich ärgerlich“, sagte Wellbrock, der mit seinem deutschen Rekord aus dem Vorlauf – mit dem üblichen Endspurt ab Meter 700 – das Finale gewonnen hätte. Und er fügte mit einem leicht gequälten Lächeln an: „Fünfter wäre wahrscheinlich schöner gewesen.“
Die Goldmission ist damit aber noch lange nicht gescheitert – seine Weltmeisterstrecken kommen erst noch. Bei der WM in Gwangju war Wellbrock über 800 m sogar im Vorlauf ausgeschieden. „Ich habe schon gezeigt, dass nach einem nicht schlechten Rennen die 1500 sehr, sehr gut werden können“, sagte der Magdeburger, der als Jahresschnellster über den „langen Kanten“ Goldfavorit ist.
Allerdings ist Rio-Olympiasieger Paltrinieri wieder ein ernst zu nehmender Konkurrent. „Auch für mich ist das ein großes Wunder“, sagte der Italiener, der im Juni erkrankt war, der ARD. Im Vorlauf habe er sich „noch so schwach“ gefühlt, aber: „Das Herz hat gewonnen.“ Am Freitag sieht Wellbrock auf seiner Lieblingsstrecke aber auch Romantschuk und Finke wieder, ein letztes Rendezvous mit Paltrinieri hat er in der nächsten Woche im Freiwasser über zehn Kilometer in der Bucht von Tokio. sid