Verlage, die Olympia-Bücher auf den Markt bringen – wahrscheinlich werden sie schon Ende nächster Woche aufliegen, es ist ein Geschäft, bei dem Geschwindigkeit zählt – werden sich nun entscheiden müssen: Wer kommt auf den Titel? Wer hat die Sportfans in Deutschland so nachhaltig begeistert, dass man vor allem sie oder ihn mit den Olympischen Spielen von Tokio emotional in Verbindung bringt? Es gab in der Geschichte schon einige Fälle von Idealbesetzungen dafür: Ulrike Meyfarth (1972), Michael Groß (1984), Dieter Baumann (1992), Matthias Steiner (2008), Fabian Hambüchen (2016). Gold ist die Grundvoraussetzung, doch hinter der Person muss auch noch eine Geschichte stehen. Vom Bewältigen eines Schicksalsschlags (Gewichtheber Steiner), langen Durchhalten (Turner Hambüchen), vom olympischen Urknall (Hochspringerin Meyfarth mit 16), dem Kampf gegen übermächtig wirkende Gegner (Groß gegen die US-Schwimmer, Baumann gegen die afrikanischen Langstreckenläufer).
Auf wen fällt die Wahl 2021? Auf die erfolgreichen Reiterinnen, auf den plötzlich vom Olympischen Geist beseelten Tennisstar Alexander Zverev? Oder bekommen wir einen Speerwurf-Olympiasieger? Auch eine Tischtennis-Mannschaftssensation gegen China könnte ein Ereignis sein, das historische Dimension hat. Noch abwarten also – doch müsste die Entscheidung jetzt fallen, sollte sie auf Florian Wellbrock zulaufen. Der Schwimmer ist keiner, dem die Herzen zufliegen, alles andere als ein Sonnyboy. Das mag mit seiner offensichtlichen Besessenheit an Leistung zu tun haben, die ja wirklich erstaunlich ist: Selten, dass einer in Becken und Freiwasser zugleich diese Klasse erreicht. Und grandios, wie er es geschafft hat, die leichten Enttäuschungen (Platz vier, Bronze) aus der ersten Woche zu verarbeiten und mit Gold über die 10 Kilometer zu antworten. Doch vor allem muss Wellbrock damit klarkommen, dass seine ältere Schwester vor 15 Jahren nach einem Schwimmwettbewerb starb. Er war dabei. Diese Geschichte trug er bis vor drei Jahren still mit sich herum. Und auch wenn ein Tattoo an das Drama erinnert, er behandelt es diskret.
Florian Wellbrock ist nicht der klassische Sieger zum Anhimmeln und Liebhaben, doch gewiss ein interessanter Mensch. Eine Figur für einen Buchtitel.