Gut im Sitzen, Stehen und Promenieren

von Redaktion

GLOSSE

VON GÜNTER KLEIN

Jonathan Johnny Hilbert hat diese Kolumne zerschossen. Der Erfurter holt eine Silbermedaille über die längste Strecke im olympischen Programm. Nichts erfordert einen höheren Aufwand als das 50-km-Gehen.

Es passt so gar nicht, dass hier ein Deutscher erfolgreich ist, denn wir wollten lästern, dass wir auch in Tokio vor allem in den Sitzsportarten stark waren. Reiten, Rudern, Rad, Kanu (gut, in einigen Booten wird nicht gesessen, sondern gekniet) lieferten viermal Gold, fünfmal Silber, viermal Bronze. Gut performt haben wir auch in den Stehsportarten (Bogenschießen), im Hängesport (Segeln), im kombinierten Steh-Liegesport (Ringen, Judo). Auch im Tischtennis und Barrenturnen ist der Laufaufwand überschaubar, im Wasserspringen (Fallsport) muss allenfalls der Aufstieg zum Brett bewältigt werden. Bezeichnend, dass deutsche Erfolge nur vom Dreier zustande kamen. Zum Zehner hoch kommen wir nicht.

In der Leichtathletik wurde die Werfertradition fortgesetzt (längste Strecke: die Ehrenrunde), Malaika Mihambo ist selbstverständlich für ihr aus dynamischem Ansprinten resultierendes Weitsprung-Gold zu lobpreisen – doch es ist uns nicht entgangen, dass sie ein Jahr lang mit kürzerem Anlauf experimentiert hatte. Sehr deutsch: Jeden Schritt einsparen. Alexander Zverev nutzte die Gunst, nur zwei Tennis-Gewinnsätze erlaufen zu müssen. Im Grand-Slam-Format hätte man ihn knicken können.

Gegen Ende der Spiele nun die große Kilometerfresserei, Florian Wellbrock 10 km im Wasser, Johnny Hilbert 50 km auf dem Asphalt. Unerklärlich – oder doch? Deutschland ist ja auch das Land der Baggerseen (Schwimmen) und der von Hape Kerkeling inspirierten Jakobsweg-Pilger (Gehen). Und man kann Promenadologie studieren. Baden und Spazierkunde. Also doch Volkssportarten.

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