„Mein Traum bleibt der Tour-Sieg“

von Redaktion

Ralph Denk, Manager von Bora-hansgrohe, über Personalpolitik und Ausrichtung seines Teams

München – Die Radsaison ist noch im vollen Gange, am kommenden Samstag startet mit der Vuelta die dritte große Rundfahrt des Jahres. Doch beim Raublinger Rennstall Bora-hansgrohe laufen längst die Personalplanungen für das kommende Jahr. Zuletzt wurden Woche für Woche prominente Neuzugänge verkündet: der Sprinter Sam Bennett (Irland/Gewinner des Grünen Tour-Trikots 2020), die Bergfahrer Alexander Wlasow (Russland/Giro-Vierter 2021), Jai Hindley (Australien/Giro-Zweiter 2020) und Sergio Higuita (Kolumbien/Dritter bei Paris-Nizza 2021). Zudem wurde bekannt, dass u. a. Peter Sagan (Slowakei), bislang der Star des Teams, und Sprintspezialist Pascal Ackermann das Team verlassen werden. Wir unterhielten uns mit Teammanager Ralph Denk (47/Raubling) über die Gründe und Ziele dieser gravierenden Veränderungen.

Ralph Denk, Sie haben Ihr Team umgekrempelt wie selten zuvor. Planen Sie damit eine strategische Neuausrichtung?

Von einer neuen Strategie würde ich nicht sprechen. Aber es ist ein Generationswechsel. Mit Peter Sagan und Pascal Ackermann konnten wir bekanntlich keine Verlängerung erzielen. Daraufhin haben wir uns überlegt: Was wollen wir in der Zukunft? Ein Kernpunkt blieb dabei der Sprint. Da hat sich angeboten, mit Sam Bennett einen alten Bekannten zurückzuholen (der Ire fuhr schon von 2013 bis 2019 für Bora-hansgrohe/Anm. d. Red.). Er gilt als einer der schnellsten Männer der Welt. Somit sind wir in puncto Sprint mit Sicherheit so gut aufgestellt wie bisher mit Pascal, vielleicht sogar ein bisschen besser.

Mit Peter Sagan verlieren Sie Ihren Star…

Ja, wir haben mit Peter wahnsinnig viel erreicht. Wofür wir auch sehr dankbar sind. Er hat Paris-Roubaix gewonnen, ist Weltmeister geworden. Das sind schon Meilensteine. Wir wussten natürlich, was wir an Peter hatten. Und deswegen haben wir ihm ein Angebot gemacht. Peter hat eine Strahlkraft für das ganze Team, und er hat es immer verstanden, seine Teamgefährten zu motivieren, er war die gute Seele. Klar, er hat zuletzt nicht mehr so viele Rennen gewonnen wie früher. Aber es hätte schon Charme gehabt, ihn weiter zu in der Mannschaft zu haben. Aber er hat sich eben anders entschieden.

Die meisten namhaften Neuverpflichtungen sind exzellente Bergfahrer. Das scheint doch auf ein Umdenken hinzudeuten.

Wir haben gesehen, dass wir Gefallen finden an großen Rundfahrten. Emanuel Buchmann ist 2019 Vierter bei der Tour de France geworden, Wilco Kelderman in diesem Jahr Fünfter. Da ist also noch etwas Luft nach oben. Und da schielen wir jetzt hin.

Die Bergfahrer sollen im renovierten Team die Zugpferde sein…

Klar, ist das eine Grundvoraussetzung, um bei der Tour de France mit vorne dabei zu sein. Und wir haben auch dieses Jahr gesehen, wie schnell es gehen kann und sich Leute ins Aus schießen. Ich denke besonders an Emanuel Buchmann, der beim Giro d’Italia gestürzt ist – da war von einer Sekunde auf die andere alles aus. Wenn man dann einen Plan B hat, ist das schon hilfreich. Die vielen Stürze in diesem Jahr bei der Tour haben außerdem gezeigt: Man muss mittlerweile ja schon mit drei Kapitänen losfahren, damit am Schluss noch einer da ist. Man braucht einfach einen breiten Kader – das kennt man auch vom Fußball.

Mit Tadej Pogacar und Egan Bernal gibt es im Radsport momentan zwei herausragende, nur schwer antastbare Spitzenfahrer. Glauben Sie, dass die Verstärkungen ausreichen, um die beiden anzugreifen und um den Tour-Sieg mitzukämpfen?

Mein persönlicher Traum ist weiterhin, eines Tages die Tour zu gewinnen. Dafür arbeitet das gesamte Management sehr hart. Ob das aber schon nächstes oder übernächstes Jahr möglich sein wird, muss man abwarten. Unsere Neuen wie Alexander Wlasow oder Jai Hindley sind noch nicht so stark wie Pogacar oder Bernal. Aber sie sind noch sehr jung, und wir haben die Hoffnung, dass unsere Neuverpflichtungen noch eine Schaufel drauf legen und dann auf höchstem Niveau konkurrenzfähig sind.

Der 25-jährige Wlasow gilt ja als Ausnahmetalent…

Er ist unumstritten einer der ganz großen Rohdiamanten im Straßenradsport. Wir wollen ihn weiterentwickeln, so dass er noch ein bisschen besser im Zeitfahren und vielleicht noch ein bisschen spritziger wird. Das haben wir in den vergangenen Jahren gelernt, dass es immer mehr um Bonussekunden geht bei den Zielsprints. Da liegt eine Menge Arbeit vor unserem Performance-Team. Ich bin jedenfalls überzeugt davon, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Ich sehe es grundsätzlich so: Wenn sich die einen Türen schließen – also mit Sagan und Ackermann –, dann gehen zugleich neue Türen auf. Ich sehe den Wandel sehr optimistisch.

Was sagt denn ein Emanuel Buchmann dazu, dass er jetzt intern enorme Konkurrenz bekommt?

Ich habe noch nicht mit ihm darüber gesprochen. Aber ich kenne Emanuel ja schon lange und glaube deswegen, dass ihn diese Situation schon inspiriert und anspornt. Es ist auch gut für ihn, dass nicht der komplette Druck – wie zuletzt beim Giro – auf seinen Schultern lastet.

Die Mannschaft von Bora-hansgrohe galt zuletzt auch als eine Art Team Deutschland mit fast allen nationalen Spitzenkräften. Besteht an diesem Alleinstellungsmerkmal weiter Interesse?

Doch, wir streben das schon an, dass die besten deutschen Radrennfahrer in unserem Team sind. Diesen Weg werden nicht verlassen. Wir haben ja noch zwei bis drei Plätze im Rennstall frei. Und es kann gut sein, dass da noch junge Deutsche eine Chance bekommen. Der Kader ist noch nicht finalisiert. Aktuell sind wir bei 28 Mann, wir planen mit 30, 31 Fahrern für kommende Saison. Und es kann gut sein, dass da noch jungen deutsche Fahrer mit im Paket sein werden. Es wird ja noch die Tour de L’Avenir gefahren, die Tour de France für U 23-Fahrer. Ich fände es cool, wenn sich da noch der eine oder andere aufdrängen würde.

Zu den größten deutschen Hoffnungsträgern zählt ja Lennart Kämna. Er erlebte in dieser Saison ein jähes Leistungstief; daraufhin setzte er für einige Monate aus. Wie steht es um ihn?

Die Situation ist unverändert, er gönnt sich weiter eine schöpferische Pause. Und diese wird auch verlängert. Er wird also die anstehende Vuelta nicht fahren. Ich hoffe aber, dass Lennart sich bald erholt hat. Er ist ja eines der größten deutschen Talente, und wir glauben weiter an ihn. Man muss hier auch den Menschen verstehen, wenn es mal nicht läuft und er den Leistungssport nicht auf höchstem Level ausüben kann. Da sind wir schon so sozial eingestellt, dass er eine Pause einlegen darf. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass Lennart stark zurückkommen wird.

Es wird in der Szene erzählt, dass sich der frühere Telekom-Rennfahrer Rolf Aldag Ihrem Betreuerstab anschließen wird…

Das ist mir neu. Ich weiß nicht, wie der Name auftauchen kann.

Ihre Crew an Sportlichen Leitern und Trainern bleibt also unverändert?

Es laufen Verträge aus. Da werden somit Gespräche stattfinden. Primär haben wir uns bisher auf die Zusammenstellung des Kaders konzentriert. Damit sind wir fast fertig. Wir werden jetzt sicher auch über den einen oder anderen Sportlichen Leiter oder Trainer diskutieren.

Sie waren in der Trainingsvorbereitung ja stets bedacht auf Innovationen…

Das wird auch so bleiben. Meine Forderung ist: Man muss täglich jeden Stein umdrehen und schauen, ob da noch ein Prozentchen liegt, um noch besser zu werden. Das machen wir schon ganz gut, aber wir müssen auch täglich in den Spiegel schauen und uns hinterfragen: Geht noch mehr?

Was geht denn bei der Spanien-Rundfahrt, bei der Ihr Team ab Samstag starten wird?

Wir wollen unter die Top Ten. und zwar mit Felix Großschartner, der im vergangenen Jahr schon Neunter war. Vielleicht kann er sich ja noch verbessern. Und wir wollen eine Etappe zu gewinnen. Da sehe ich vor allem Max Schachmann, der mit guter Form von den Olympischen Spielen aus Tokio zurückgekehrt ist. Auch der junge Sprinter Jordi Meeus hat Chancen, er ist in seinem ersten Profijahr schon toll gefahren. Und vielleicht sorgt einer aus der Helferriege für eine Überraschung. Bei der Tour de France waren Nils Politt und Patrick Konrad ja auch nicht unbedingt als Etappensieger vorgesehen – und trotzdem haben es beide geschafft. Vielleicht gelingt uns so etwas durch eine offensive Fahrweise auch bei der Vuelta.

Interview: Armin Gibis

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