Federer vorm Karriereende

Dankbar für jede Maestro-Minute

von Redaktion

DANIEL MÜKSCH

Realistisch betrachtet, muss man sagen: Das war es nun für Roger Federer. Die dritte Operation am lädierten rechten Knie. Danach ist er monatelang auf Krücken angewiesen. Gefolgt von zäher Reha mit behutsamen Muskelaufbau. Es bedarf schon gehöriger Fantasie, will man sich den 20-fachen Grand-Slam-Sieger noch einmal auf den größten Tennisplätzen im Wettkampf mit den besten Spielern der Welt vorstellen.

Nicht nur Federer-Fans werden an dieser Stelle einwenden: Aber wer, wenn nicht er. Recht haben sie. Schon mehrfach ist der 40-Jährige nach schwerwiegenden Verletzungen zurückgekommen und hat seine Ausnahmefähigkeiten ein weiteres Mal unter Beweis gestellt. Es kommt selten vor, dass die Floskel „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ passend gebraucht werden kann. In diesem Fall passt sie.

Jede Minute, die Roger Federer noch auf der Tour um Punkte und Turniersiege aufschlagen kann, sollten wir genießen. Einen besseren Botschafter kann es für den Tennissport nicht geben. Da können Rafael Nadal oder vor allem Novak Djokovic noch so viele Grand-Slam-Siege mehr einfahren – den Status eines Federers werden sie nie erreichen.

Die Rufe nach dem sofortigen Rücktritt des Schweizers sind indes nicht nachzuvollziehen. Dahinter verbirgt sich die sehr deutsche Lesart, doch bitte auf dem Höhepunkt einer Karriere abtreten zu müssen. Warum? Oft steckt dahinter mehr das eigene Unverständnis, einen ehemaligen Seriensieger verlieren zu sehen und nicht das Wohl des Betroffenen. Wieso soll Federer nicht so lange Profi-Tennis spielen, wie er es möchte? Er hat sein gesamtes Leben diesem Sport gewidmet. Tennis ist ein – wenn nicht sogar der – entscheidende Punkt in seiner DNA. Verlieren seine unzähligen Triumphe an Glanz, weil er nicht mehr automatisch jedes Endspiel erreicht und nun auch mal gegen Widersacher verliert, die früher kein Land gegen ihn gesehen haben? Wohl kaum.

Der einzige Maßstab für die Fortsetzung dieser einmaligen Karriere ist die Lust von Roger Federer auf Tennis. Arrangiert er sich mit seiner neuen Rolle, sollten alle Beobachter froh sein, einen solchen Athleten noch einmal live erleben zu dürfen und jede Minute mit dem Maestro genießen.

Denn viele Minuten werden nicht mehr dazukommen.

Wenn überhaupt.

Daniel.Mueksch@ovb.net

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