„Ich sehe großen Raum für Wachstum“

von Redaktion

Franz Reindl über seine Kandidatur als Präsident des Eishockey-Weltverbands

St. Petersburg/München – Am Mittwoch beginnt der Kongress des Eishockey-Weltverbandes IIHF, am Freitag stellen sich die fünf Kandidaten vor, die Nachfolger des 27 Jahre lang amtierenden René Fasel (Schweiz) werden wollen. Am Samstag erfolgt dann die Wahl. Einer der Aspiranten, vielleicht sogar der Favorit, ist Franz Reindl (66). Der Garmisch-Partenkirchner, Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB), weilt schon seit Sonntag im russischen St. Petersburg, um für sich zu werben.

Herr Reindl, warum wollen auf einmal so viele Leute IIHF-Präsident werden?

27 Jahre stellte sich die Frage nicht, jetzt ist durch René Fasels 2019 angekündigten und wegen Corona etwas verschobenen Rücktritt ein Vakuum entstanden. Die IIHF umfasst inzwischen viel mehr Nationen als vor zwei, drei Jahrzehnten, sie hat mehr Möglichkeiten. Dass es fünf Kandidaten für die Präsidentschaft sind, ist eine gesunde Situation für die IIHF.

Es sind über 80 Mitgliedsverbände in der IIHF zusammengeschlossen. Ist es so wie bei der Fußballorganisation FIFA, dass jeder eine Stimme hat?

Bei uns haben die meisten Nationen zwei, einige haben eine, es gibt auch Mitglieder, die nur assoziiert sind und keine Stimme haben. Aber sie machen Stimmung.

Sie haben ein umfangreiches Manifest mit Ihren Zielen veröffentlicht, in mehreren Sprachen – doch auch die anderen Kandidaten haben Wahlprogramme, und so sehr unterscheiden die sich nun nicht. Es ist keineswegs so wie bei der Bundestagswahl, bei der verschiedene Programmatiken aufeinandertreffen.

Mit der Bundestagswahl ist es nicht vergleichbar. Die Nationen der IIHF werden genau hinschauen und sich Gedanken machen: Was kann man umsetzen, wer hat die Fähigkeiten und die Erfahrung dazu?

Sie streben für das Eishockey globales Wachstum an. Wie soll das gehen?

Die großen Nationen müssen den kleinen helfen, die oft keine eigene Liga haben, sondern deren Mannschaften in anderen Ländern mitspielen. Es geht nicht um Unterstützung mit Geld, sondern um Transfer von Wissen und um Management-Unterstützung. Vor allem in Europa sehe ich großen Raum für Wachstum, auch nordafrikanische Länder kommen dazu, und in Asien bemerken wir durch die Olympischen Spiele, die 2018 in Pyeongchang stattfanden und 2022 in Peking stattfinden werden, Investitionen in Stadien. Unsere jährliche Weltmeisterschaft erreicht Riesenzahlen, wir müssen die Möglichkeiten. die die digitale Welt uns bietet, ausnutzen, wir brauchen Wachstum, um am Markt zu bestehen. Auch Frauen-Eishockey ist bei Weitem noch nicht erschlossen.

Verträgt sich die Wachstumsidee der energieintensiven Sportart Eishockey mit dem Gedanken von Umweltschutz und Nachhaltigkeit?

Eissport in Eishallen ist nicht nur Eishockey. Das ist auch Kunstlauf, Publikumslauf, freier Schlägerlauf, Sledgehockey für Behinderte. Das Ziel kann es nicht sein, das der Bevölkerung zu nehmen. Wir müssen nach neuen energetischen Möglichkeiten suchen, Eisstadien zu betreiben, und da hat sich schon einiges getan.

Plastikplatten statt Eis?

Das nicht. Es würde nicht mehr der Eishockeysport sein, den wir kennen.

Verkleinerung der Spielfläche wie in Nordamerika?

Wenn man auf 26 statt 30 Meter Breite geht, spart man 240 Quadratmeter Eisfläche und die entsprechende Energie. In Crimmitschau ist die Fläche sogar noch kleiner. Die Kinder dort gehen trotzdem aufs Eis und haben ihren Spaß.

Sie sprechen auch von „neuen Formaten“? Kommt wie im Basketball das Drei-gegen-drei-Format?

Bei den Olympischen Jugendspielen in Lausanne haben wir das 3×3 in Turnierform und im Mixed angeboten – es war unglaublich erfolgreich. Oder Skills-Wettbewerbe wie Penaltyschießen und bestimmte Rennen. Da herrscht unvorstellbare Begeisterung. Es kann der Einstieg sein, gerade für kleinere Nationen mit weniger Spielern. Es gibt Top-Spieler aus Kroatien und Serbien, manche sogar in der NHL. Unser Spiel ist sehr gut, aber wir müssen weitere Formate daraus entwickeln – Volleyball mit seiner Beach-Variante und Biathlon haben es uns vorgemacht.

Das alles kann ein IIHF-Präsident bewirken?

Alleine kann er es nicht. Er muss seine Ideen beschreiben. Aber man entwickelt alles im Team – so wie wir es in Deutschland geschafft haben, ein Fünf-Sterne-Programm für den Nachwuchs und für die Nationalmannschaft das „Powerplay26“ auf die Beine zu stellen oder Liga und Verband wieder zusammenzuführen.

Ist das Amt des IIHF-Präsidenten mittlerweile auch ein politisches? Siehe die Diskussionen um den letztlich gecancelten WM-Co-Ausrichter 2021, Belarus?

Wie früher Sport und Politik strikt zu trennen, das funktioniert nicht mehr. Es wird für den Sport schwieriger, sich um Entscheidungen zu drücken.

Die IIHF sitzt in Zürich. Müssten Sie im Fall der Wahl umziehen?

Der IIHF-Präsident ist kein Vollzeitangestellter, auch wenn er fulltime wird arbeiten müssen. Er muss anwesend sein, aber nicht dauerhaft wie früher. Die Strecke Garmisch-Partenkirchen – Zürich kann man auch mit dem Auto bewältigen.

DEB-Präsident dürften Sie aber nicht mehr sein?

Beides ginge nicht, das ist in den Statuten festgehalten. Beim DEB würde das verbleibende Präsidium eine Inter-imslösung bis zum turnusgemäßen Verbandstag 2022 festlegen.

Eine erste Aufgabe, die auf Sie als IIHF-Präsident zukommen könnte: Wie schafft man es, dass China für Olympia 2022 ein wettbewerbsfähiges Team stellt? Experten befürchten, Kanada mit seinen NHL-Profis würde gegen China jede Minute ein Tor schießen. Genau das braucht das Eishockey auf seiner größten Bühne aber nicht.

Ich erinnere mich, dass schon 1972 die chinesische Nationalmannschaft zu Gast bei uns war und ich mit dem SC Riessersee gegen sie gespielt habe. . . Für Olympia gibt es die Regelung, dass der Ausrichter einen Platz bekommt, und China will ihn in Anspruch nehmen. Die Mannschaft, die jetzt spielen könnte, ist schon wesentlich besser geworden, sie nimmt an der VHL, der zweiten Liga in Russland, teil. Und es gibt das Profi-Team in der russischen KHL, Kunlun Red Star.

Dort spielen vor allem Kanadier. Werden die eingebürgert?

Die IIHF hat klare Regeln, wann ein Spieler für eine Nationalmannschaft verfügbar ist. Er muss zwei Jahre in der Liga gespielt haben. Die Einbürgerungsmöglichkeit ist Sache des jeweiligen Landes. Es gibt viele, die die zwei Jahre in China erfüllen, aber keine Staatsbürger sind. Ein Kanadier aus Vancouver wird sich genau überlegen, ob er seine Staatsbürgerschaft abgibt. Klar ist, dass die IIHF ihre Regeln nicht ändern wird – sonst schaffen wir nur Präzedenzfälle. Aber ich sehe, dass es in China vorangeht, man die Kräfte konzentriert. Ich habe das Nachwuchszentrum von Kunlun Red Star gesehen und andere Anlagen, die in Peking gebaut werden. Wayne Gretzky (größter Spieler der Eishockey-Geschichte, Kanadier, d. Red.) hat in China schon 50 Stadien eröffnet.

Interview: Günter Klein

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