München – Boris Herrmann hat hierzulande Segel-Geschichte geschrieben. Als erster Deutscher nahm der 40-jährige gebürtige Oldenburger ab dem 8. November 2020 an der Vendee Globe teil, einem alle vier Jahren ausgetragenen Rund-um-die-Welt-Rennen. Ab dem 4. Oktober steht bei TVNow die Dokumentation „Sturmfahrt – Boris Herrmann auf der härtesten Segelregatta der Welt“ zum Streamen bereit. In bislang unveröffentlichten Videoaufnahmen und Audio-Nachrichten von Bord seiner 18 Meter langen Yacht Seaexplorer schildert Herrmann den 80 Tage währenden Kampf gegen die Elemente, die Konkurrenz und gegen sich selbst. Bis kurz vor dem Ziel in Frankreich hatte der Berufssegler sogar Siegchancen, doch dann kollidierte er unverschuldet mit einem spanischen Fischtrawler und landete mit seinem havarierten Schiff auf Rang fünf. Wir sprachen mit Boris Herrmann.
Herr Herrmann, was hat sich für Sie seit der Zielankunft bei der Vendee am 28. Januar verändert?
Ich habe schon Zeit gebraucht, anzukommen und zu realisieren, was das alles für einen irren Effekt auf die Popularität des Segelsports hatte. Die Leute nehmen alles viel stärker wahr. Und ich habe ein Zukunftsprojekt zusammengezurrt, arbeite mit neuen Partnern und bin auch beim Design des neuen Schiffes involviert. Wir wollen nämlich beim Ocean Race 2022/23 und bei der Vendee 2024/25 starten.
Sie haben mal gesagt, dass Sie ein halbes Jahr brauchen, um nach den Strapazen der Vendee wieder Kraft zu schöpfen. Hatten Sie da schon Zeit?
Nein, aber am Anfang des Jahres werden wir eine Auszeit nehmen.
Ihre Frau Birte war von Beginn an ins Vendee- Projekt involviert. Wie sehr hat das geholfen?
Sie hat Lernmaterialien für Kinder entwickelt, im Moment schreibt sie ein Kinderbuch über den Klimawandel im Ozean. Es gab also Phasen, wo wir tagelang gemeinsam gearbeitet haben.
Sie sprachen auch einmal davon, dass Angst ein ständiger Begleiter an Bord ist – wie kann man sie ausblenden?
Beim Segeln ist es ja nicht so, dass man bei einem Fehler gleich stirbt. Das ist in der Formel 1, wenn man mit 300 km/h unterwegs ist, natürlich anders. Du hast eher Angst, dass das Boot kaputtgeht.
Schäden zu vermeiden hat bei Ihnen bei der Vendee zunächst ja gut geklappt …
Ja, das Boot war in einer Superverfassung. Deshalb konnte ich im Atlantik noch mal richtig angreifen.
Und dann beendete die Kollision die Siegträume. Sagen Sie heute: passiert, abgehakt?
Genau, ich denke nicht mehr daran. Anzukommen hat die große Bedeutung. Und die Daten, die wir für unsere wissenschaftliche Mission gesammelt haben, die sind wichtig. Deshalb bin ich einfach froh, durchgekommen zu sein. Das ist nicht selbstverständlich und wird einem erst bei der Ankunft so richtig bewusst.
Sie hatten täglich nicht mehr als eine Stunde Schlaf – war das die größte Herausforderung?
Es ist ein tägliches Ringen um die Balance zwischen Erschöpfung und intensivem Segeln. Und wenn man zu emotional wird, dann ist das oft ein Zeichen von Schlafmangel. Als die Testrennen für die Vendee gut gelaufen sind, habe ich gedacht, es könnte morgen losgehen. Aber die Vendee ist dann doch viel härter. Es ist kalt, die See unter diesen Bedingungen schwer zu segeln. Und vor allem ist die Vendee unheimlich lang.
Sie sind Segel-Profi. Wie kann man davon leben?
Wir haben sieben Partner, die finanzieren unsere Projekte von A bis Z. Denn die Preisgelder sind vergleichsweise gering. Dazu kommen auch private Spender. Und früher auch noch Vorträge. Ich habe Anfragen von 600 Firmen, aber die habe ich erst mal hintenangestellt, die Partner haben Vorrang.
Sie sind 2019 mit Greta Thunberg zu einem Klima-Gipfel nach New York gesegelt. Haben Sie noch Kontakt?
Sie hat mir nach der Vendee gratuliert. Mich hat sehr gefreut, dass sie sich nach unserer Reise noch mit dem Team identifiziert.
Interview: Bernd Brudermanns