„Wenn das Visier unten ist, gibt es Krieg“

von Redaktion

Johannes Lochner über die Bahn in Peking, Olympia-Vorfreude und Konkurrent Friedrich

München – In den letzten Tagen musste Johannes Lochner ohne sein Gefährt auskommen. Der chinesische Zoll hatte die deutschen Bobs nach dem Testlauf auf der Olympiabahn von Yanqing vorübergehend beschlagnahmt. Erst am Mittwoch nahm Lochner seinen Bob in Empfang. Doch sein Körper habe nach den vielen Fahrten in der Vorbereitung ohnehin ein paar Tage Pause gebraucht, erzählt der Berchtesgadener. Vor dem Saisonauftakt am kommenden Wochenende in Innsbruck-Igls verrät der 31-Jährige unserer Zeitung, warum er einen Olympia-Boykott nicht für sinnvoll hält und was ihn von Konkurrent Francesco Friedrich unterscheidet.

Johannes Lochner, am Wochenende geht es wieder los. Wie fühlen Sie sich?

Ich habe ein gutes Gefühl vor dem Weltcup-Start. Mein Master ist abgeschlossen, das schwebte in den letzten Jahren immer noch im Hinterkopf rum. Jetzt ist der Kopf frei, auch in der Familie passt alles. Das einzig Ungewisse ist unsere Besetzung im Vierer-Bob. In den letzten Wochen ist gefühlt jeder mal ausgefallen. Mit dem Vierer wollen wir wieder in die Weltspitze vorstoßen, dafür müssen wir in den kommenden Wochen die richtige Konstellation finden. Ich bin ein totaler Wettkampf-Typ. Im Training kann ich mich gar nicht so richtig motivieren. Ich liebe den Wettbewerb, wenn die Kameras an sind und das Adrenalin steigt. Dann heißt es nur noch Vollgas.

Sie waren mit dem Bobteam bereits in Peking. Ihre Eindrücke?

In Peking saßen wir jeden Tag zwei Stunden im Bus. 28 Tage lang. Noch dazu war der Bus eher für Chinesen konzipiert, ich war viel zu groß (lacht). Aber während der Spiele wohnen wir ja direkt neben der Bahn. Das Olympische Dorf hat mir schon mal gefallen. Ich glaube, dort werde ich mich direkt wohlfühlen.

Und die Bahn?

Auf der Bahn in Peking musst du extrem konstant fahren. Du darfst dir keinen Fehler erlauben, wenn du eine Medaille mitnehmen möchtest. Wenn ich bei den letzten Spielen eine Medaille gewonnen hätte, hätte ich mir auch gut vorstellen können, meine Karriere schon zu beenden. Aber so will man natürlich nicht abtreten. Deshalb habe ich mir jetzt noch mal vier Jahre den Arsch aufgerissen.

Die Spiele werden kritisch betrachtet. Kommt trotzdem Vorfreude auf?

Ich freue mich unheimlich auf Olympia. Die Bahn ist architektonisch super geil, es wird vermutlich nie wieder so eine gigantische Bahn geben. Das ganze Drumherum musst du als Sportler jetzt vergessen. Natürlich habe ich da auch meine Haltung und sehe es teilweise kritisch, was dort passiert. Aber was sollen wir jetzt mit einem Boykott anfangen? Der Zug ist abgefahren. Das hätte man sich nicht jetzt, sondern vor Jahren überlegen sollen. Und vor allem hätten sich das die Leute überlegen sollen, die Geld dafür bekommen. Es werden meine letzten Spiele, ich werde jede Sekunde genießen und alles geben.

Was sind Ihre persönlichen Ziele für die kommende Saison?

Ich will natürlich nicht zuschauen, wie Francesco Friedrich wieder 16 Weltcups gewinnt. Das kratzt am Ego, wenn der dir Woche für Wochen um die Ohren fährt. Ich habe bei einer Heim-WM ja schon mal gesagt, dass ich ihm gerne ins Wohnzimmer scheißen würde. Das spiegelt unser Verhältnis gut wider (lacht). Außerhalb der Strecke gibt es Gaudi, aber sobald das Visier runtergeklappt ist und die Ampel auf grün springt, gibt es Krieg. Ich will ihm die Suppe versalzen.

Ins Wohnzimmer sch… also. Müssen wir uns Sorgen um Ihre Beziehung zu Francesco machen?

(lacht) Wir verstehen uns super, auch wenn wir zwei völlig unterschiedliche Charaktere sind. Ich bin der lustige Bayer, Francesco ist extrem strukturiert. So könnte ich gar nicht arbeiten, aber der Erfolg gibt ihm ja recht.

Interview: Nico-Marius Schmitz

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