München – Irina Zverev kann sich noch gut an die kleinen Schummeleien erinnern. An die Tricks, mit denen sie ihren jüngeren Sohn Alexander einst bei Laune hielt. Wenn sie zusammen „Mensch ärgere Dich nicht“ spielten oder auch auf dem Tennisplatz standen, musste die Mama irgendwann zurückstecken. „Ich ließ Sascha dann einfach gewinnen, um die Stimmung zu retten“, sagt die Mutter, „er wollte am liebsten niemals verlieren.“ Und daran habe sich bis heute auch nur wenig verändert: „Er will siegen. Das steckt bei ihm im Blut drin.“ Mutter Zverev ist die keineswegs klammheimliche Dirigentin dieser erstaunlichen Familiendynastie, die bei den Olympischen Spielen in Tokio und nun auch bei der ATP-WM in Turin wahre Sternstunden erlebte. „Für uns alle sind das unfassbare, bewegende Tage“, sagt Mischa Zverev (34), der ältere Bruder von Alexander. Sein eigenes professionelles Tennisleben klingt gerade auf Schauplätzen eher der Zweiten oder Dritten Liga aus, während die Karriere von Alexander eine nächste rasante Beschleunigung erfahren könnte.
„Sascha ist jetzt so richtig durchgestartet“, meint Boris Becker, der deutsche Tennis-Kanzler, „diese großen Siege sorgen immer für eine gewisse Beruhigung. Er ist so einem Ding wie Olympia lange hinterhergelaufen.“ Jetzt werde Zverev, so Becker, „auch Platz eins in der Rangliste attackieren“ und mit noch mehr Selbstbewußtsein Grand Slam-Titel „angreifen“. Zverevs Erfolge wurzeln tief in der Unterstützung und Begleitung durch seine Familie, ohne Mutter Irina (54), Vater Alexander sr. (61) und Bruder Mischa (34) wäre diese Karriere überhaupt nicht vorstellbar. Das Prinzip „Family First“ ist in den Jahren gewachsener Herausforderungen und teils auch Bedrohungen noch wichtiger geworden. Nur Vater Alexander fehlte in Turin beim jüngsten Siegeszug seines Sohnes, er kommt mit den Belastungen des Stressgeschäfts nicht immer gut klar, musste sich offenbar auf Anraten der Ärzte erholen.
Zverev war früh auf der professionellen Tour unterwegs, Mutter Irina hat sogar noch vor Augen, wie sie Alexander bereits vier Tage nach seiner Geburt mit auf einen Tennisplatz nahm. „Er war wie ein Zirkuskind, das von Ort zu Ort mitreiste“, sagt die Mama, die einst mal die viertbeste Spielerin in Russland war und als große Kämpferin in ihren Matches galt. Wann immer die Zeit es zuließ, beschäftigte sich die Mutter mit ihrem jüngeren Sohn auf dem Tennisplatz, sie gab Hunderte, Tausende Unterrichtsstunden, sorgte somit für eine grundsolide Ausbildung.
Vater Alexander sr. kümmerte sich später, wie auch schon bei Bruder Mischa, um die Details, um das Feintuning. „Er ist für mich der beste Trainer der Welt“, sagt Sohn Alexander, „und er wird auch bis zum Ende meiner Karriere mein Trainer bleiben.“
Dass ihm viele Experten, auch befreundete Kollegen, immer mal wieder rieten, sich vom Vater und überhaupt der Familie in Tennisangelegenheiten zu emanzipieren, ignorierte der Schlaks komplett. „Ich fühle mich am Ende am wohlsten mit den Menschen, denen ich rückhaltlos trauen kann“, sagt Zverev, „bei meiner Familie weiß ich, dass es ihr nur um mich geht.“ Die anderen Zverevs hielten auch dann wieder bedingungslos zu ihm, als im vergangenen Herbst Vorwürfe auftauchten, der jüngere Bruder sei in häusliche Gewalt gegen seine ehemalige Freundin Olga Scharipowa verwickelt gewesen. Zverev nannte die Anschuldigungen „erfunden“, Mutter Irina erklärte, Scharipowa sei „unruhig und instabil“ gewesen und habe mit ihr um die „Aufmerksamkeit von Sascha“ gerungen. In das bewegte letzte Jahr Zverevs fällt auch die Geburt seiner Tochter Mayla, das gemeinsame Kind mit der ebenfalls verflossenen Lebenspartnerin Brenda Patea kam Anfang März auf die Welt.
Inzwischen ist Zverev schlagzeilenträchtig mit Schauspielerin Sophia Thomalla liiert, das Pärchen geht nun mit großem Freundeskreis und der Familie auf den Urlaubstrip Richtung Malediven. „Ohne Pokal hätte ich ihn auch zu Hause gar nicht rein gelassen“, kommentierte Thomalla den WM-Sieg. Auf den Malediven werde man „viel Blödsinn machen“, so Zverev. Aber spätestens nach fünf, sechs Tagen beginnt die Vorbereitung für das nächste großes Ziel – ein Grand-Slam-Titel. „Ich werde dafür alles tun. Ich werde so viel Arbeit wie möglich reinstecken und meinen Arsch dafür aufreißen, dass es passiert.“