Die Wut hat ja einen ziemlich schlechten Ruf. Wer wütend ist, gilt als primitiv, als ungehobelt. Unsere moderne Gesellschaft verlangt nach dem kopfgesteuerten Teamplayer, der stets cool bleibt und die Contenance bewahrt. Dabei ist es gar nicht so schlecht, oft sogar befreiend, wenn man die Wut einfach mal rauslässt. Sagen Psychologen. Weil sie, zu lange angestaut, zu krankhafter Schwermut führen kann.
Also machen wir unserem Ärger mal richtig Luft. Weil wir nicht mehr achselzuckend zusehen wollen, wie Betten in den Kliniken zum raren Gut werden, der Mangel an Fachkräften zur Katastrophe zu werden droht, schwer erkrankte Patienten nicht mehr behandelt werden können. Und das trifft ja nun nicht nur jene, die mit diesem dämlichen Virus infiziert sind, es sind auch die betroffen, die unter der dramatischen Situation und den sicherlich notwendigen Maßnahmen mit am meisten leiden, unsere Kinder.
Eine Krisenlage, die sich über einen solch langen Zeitraum erstrecke, habe er noch nie erlebt, sagt der Münchner Jugendpsychiater Franz Freisleder, nie so viele depressive und suizidgefährdete Kinder. Die Zahl der Notfälle habe seit Wochen enorm zugenommen, Betten und Personal werden knapp, bestätigt der Klinik-Chef Schulte-Körne. Die Angst vor der Zukunft geht um, die Angst, die Schule nicht mehr zu schaffen, die Angst, wie das alles weitergehen soll. Und keineswegs zu vernachlässigen seien Depressionen als Folge fehlender Aktivitäten und trostloser Vereinsamung.
Und warum – das macht uns so wütend – das Ganze? Weil wir es einfach nicht schaffen, durch unser Verhalten und deutlich höhere Impfbereitschaft dem Virus ein wenig von seinem Schrecken zu nehmen. Und damit den Kids die Möglichkeit zurückzugeben, wieder ein relativ normales Leben zu führen, in der Schule, mit Freunden, beim ausgelassenen Spiel, beim gemeinsamen Sport, im Verein.
Gerade wurde wieder in mehreren Regionen Bayerns das Leben total heruntergefahren, dort, wo die Inzidenz besonders hoch ist, nimmt man wieder alle in Sippenhaft. Möglich ist dort nur noch eingeschränkter Schul- und Leistungssport, wieder wird die Pandemie auf dem Rücken der Jüngsten ausgetragen, in eine Art „Freizeitlockdown“ hat man sie geschickt. Muss das alles sein, jetzt, wo wir seit fast einem Jahr den Impfstoff haben, der uns so viel Hoffnung gegeben hat im letzten Frühjahr? Der Sommer hat für Freude und Entspannung gesorgt, man hat sich wieder mit Freunden getroffen, Kinder haben wieder gemeinsam Sport getrieben, nie, nie mehr, so hörten wir, werde es einen Lockdown wie im letzten Winter geben.
Und nun? Die Inzidenzen sind in schwindelerregenden Höhen, nichts wird mehr ausgeschlossen. Wieder droht das Leben stillgelegt zu werden, wieder droht der Spaß im Schnee dem Virus zum Opfer zu fallen. Dabei hätten wir doch wesentlich entspannter in den Winter gehen können, gäbe es nicht immer noch viel zu viele Menschen, die sich einreden lassen, was für ein Teufelszeug uns da injiziert werde und lieber erst mal abwarten wollen, was mit denen passiert, die es intus haben.
Dabei, das jedenfalls sollten wir inzwischen wissen, sind die Langzeitfolgen von Covid wohl deutlich drastischer, die langfristigen Auswirkungen der Krise besorgniserregender auf Kinder und Jugendliche, die wegen der einer egoistischen Haltung so vieler Erwachsener dicker werden, kränker, die vereinsamen und von Depressionen bis hin zu Suizidgedanken geplagt werden. Denn Kinder brauchen Begegnung, brauchen Bewegung, brauchen Spiel, Spaß und Sport mit Freunden. Dass man ihnen das nimmt, macht uns wütend. Richtig wütend.
Kinder brauchen Sport – der erneute „Freizeitlockdown“ wird Auswirkungen auf die Psyche haben.