„Für Wehmut bin ich zu beschäftigt“

von Redaktion

Der frühere Biathlet Simon Schempp blickt in seiner Biografie zurück auf sein Sportlerleben

München – Simon Schempp zählte fast ein Jahrzehnt lang zu den prägenden Akteuren des deutschen Biathlons. Trotz mancher gesundheitlicher Probleme wurde er vierfacher Weltmeister, gewann drei Olympiamedaillen und zwölf Weltcup-Rennen. Zudem glänzte der nun 33-Jährige stets in der Rolle des fairen, freundlichen Sportsmannes. Im vergangenen Jahr beendete der in Ruhpolding lebende Schwabe seine Karriere. Seither hat sich einiges getan. Schempp nahm ein duales Studium auf: Für den Deutschen Ski-Verband (DSV) arbeitet er im Finanzbereich, parallel dazu strebt er an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning einen Abschluss in Betriebswirtschaftslehre an. Damit nicht genug: Im Sommer entstand seine Biografie mit dem Titel „Zieleinlauf – Mein Leben für den Biathlon“. Das Buch kommt am 14. Dezember in den Handel.

Simon Schempp, in Schweden sind die Biathleten in die Saison gestartet. Sie sind erstmals seit über zehn Jahren nicht dabei. Kommt da nicht ein bisschen Wehmut auf?

Nein, das Sportlerleben vermisse ich nicht. Wehmut kommt nicht auf, dazu bin viel zu beschäftigt. Ich habe mir neue Ziele gesetzt. Und die machen mir sehr viel Spaß.

Sie sind im Rahmen eines dualen Studiums beim DSV in der Finanzabteilung angestellt. Wie kam’s dazu?

Mir war einerseits klar, dass ich dem Sport erhalten bleiben möchte. Da hängt halt doch auch mein Herz daran. Ich wollte aber den Sport von einer anderen Seite kennenlernen und mich dort weiterentwickeln. Und ich konnte dann als Praktikant beim Skiverband im Finanzbereich arbeiten. Das hat mir unheimlich gut gefallen. Ich habe sofort gemerkt, dass das genau das Richtige ist.

Finanzbereich – das klingt nach trockener Schreibtischarbeit …

Mich interessiert die wirtschaftliche Seite im Sport sehr. Ich bin damit schon während meiner Karriere oft konfrontiert worden. Irgendwo ist man als Sportler auch ein Einzelunternehmen. Dadurch ist die Affinität zu anderen Finanzthemen gekommen. Man bekommt gerade hier einen tiefen Einblick in den Sport.

Sie haben vor ein paar Monaten auch noch eine Autobiografie geschrieben. Auch hier haben Sie sich in ein neues Metier gewagt.

Ich habe schon immer gerne Sportlerbiografien gelesen. Die des Triathlon-Olympiasiegers Jan Frodeno zum Beispiel oder von Tennisstars wie Andre Agassi oder Rafael Nadal. Als dann ein Verlag auf mich zugekommen ist und gefragt hat, ob ich mir so etwas vorstellen könnte, habe ich nicht lange überlegt.

Wie waren Ihre Erfahrungen als Autor?

Es hat richtig Spaß gemacht, auch weil man dabei viele Erinnerungen Revue passieren lässt und auf diese Weise noch einmal einen guten Überblick über seine ganze Karriere bekommt. Das war wie eine Aufarbeitung meines Lebens als Biathlet.

Ist Ihnen da im Rückblick etwas besonders aufgefallen?

Ich habe gemerkt, dass es eine lange Zeit war und dass ich in meine Sportkarriere unheimlich viel harte Arbeit und Entbehrungen gesteckt habe. Das war mir während meiner Karriere gar nicht so richtig bewusst.

Beim Lesen Ihrer Biografie merkt man auch, dass Ihre Karriere sehr schmerzhaft war. Immer wieder wurden Sie von gesundheitlichen Nackenschlägen heimgesucht: Krankheiten, Rückenverletzungen, Schulterbruch. Da galt es einiges auszuhalten…

Zu einem Leistungssportler gehört es dazu, dass man leidensfähig ist und man schlechtere Phasen überwindet. Das musst nicht unbedingt nur negativ sein. Man lernt auch aus Tiefs.

Biografien werden oft dazu benutzt, späte Abrechnungen vorzunehmen oder als harter Kritiker aufzutreten. Bei Ihnen kommen solche Passagen nicht vor. Es gibt nur zwei kleine Ausnahmen: In Verbindung mit Cheftrainer Mark Kirchner und dem Ruhpoldinger Stützpunkttrainer Isidor Scheurl lassen Sie kritische Zwischentöne anklingen. Was hat Sie dazu bewogen?

Es ist halt so, dass man mit manchen Trainern nicht so zurecht kommt und so seine Schwierigkeiten hat. Ich hatte auch viele positive Begegnungen mit Trainern. In einem System, in dem man sich nicht alles aussuchen kann, ist die Konstellation zwangsläufig manchmal so, dass sie für nicht jeden in der Nationalmannschaft nicht optimal ist.

Offensichtlich war das Vertrauensverhältnis zu den beiden Trainern etwas gestört. Für jemanden wie Sie, der großen Wert auf Vertrauen und Respekt legt, keine einfache Situation…

Das stimmt. Wenn man sich so umhört, gibt es aber auch Sportler, die überzeugt sind von Mark Kirchner. Für mich war er ja nicht der Heimtrainer mit dem man täglich Kontakt hat, sondern der Bundestrainer, den man dann im Trainingslager oder bei Wettkämpfen sieht. Mit den meisten Heimtrainern hatte ich einen viel intensiveren, vertrauensvolleren Umgang. Ich habe aber gelernt, mich mit den Gegebenheiten zu arrangieren.

Ein wichtiger Wegbegleiter war Thomas Baschab, Ihr Mentaltrainer. Sie schreiben, dass Sie ihm die WM-Goldmedaille in Hochfilzen mitzuverdanken haben. Werden Rennen im Kopf gewonnen?

Nicht nur, aber der Kopf spielt sicher eine große Rolle. Es war damals auch eine außergewöhnliche Situation. Ich hatte 2017 immer noch keine Einzelmedaille, obwohl ich vier Jahre in Folge als Zweiter oder Dritter im Gesamtweltcup zu Großereignissen gefahren bin und zu den weltbesten Biathleten gehörte. Da kamen die entsprechenden Fragen von außen und die wurden immer mehr mit jedem Rennen, in dem man es wieder nicht geschafft hat. Thomas Baschab hat mir dann mit einer SMS, die er mir vor dem Massenstartrennen schrieb, ein total positives Gefühl gegeben. Dadurch hatte sich mein Blickwinkel verändert. Es war auch eine Anleitung, wie ich am besten das nächste Rennen angehe.

Was Ihre Kernerfahrung in der Zusammenarbeit mit Ihrem Mentalcoach?

Dass das absolut dazu gehört, wenn man zur Weltspitze gehören will. Da ist das einfach ein notwendiger Mosaikstein. Ich kann es nur jedem empfehlen, sich einem Mentaltrainer anzuvertrauen.

In Ihrem Buch findet sich der Satz: „Ich hatte wieder das wundervolle, Gefühl, nach einem langen Trainingstag, völlig fertig zu sein und abends mit einer gesunden Müdigkeit ins Bett zu fallen.“ Sportliche Bewegung ging Ihnen über alles. Jetzt sitzen Sie oft am Schreibtisch. Geht Ihnen da nichts ab?

Nein, überhaupt nicht. Mein neuer Alltag erfüllt mich völlig. Da macht es nichts, wenn ich den ganzen Tag sitze und arbeite. Das ist ja auch ein angenehmes Gefühl, wenn man etwas Sinnvolles getan und dazugelernt hat. Und man darf nicht vergessen: Auch Kopfarbeit kann sehr anstrengend sein.

Kommen Sie überhaupt noch zum Sporttreiben?

Ja klar, nur nicht mehr in dem Umfang wie früher. Ich mache noch viele Dinge: Radfahren, Joggen, manchmal bin ich auch auf Rollerski unterwegs. Das macht mir schon noch großen Spaß.

Dem Biathlon sind Sie ja privat noch eng verbunden. Ihre Lebensgefährtin Franziska Preuß wird als Medaillenhoffnung bei Olympia in Peking starten. Was trauen Sie Ihr zu?

Sie wirkt in jeder Hinsicht positiv. Läuferisch ist sie noch nie so gut in die Saison gekommen. Und von ihr weiß man auch, dass sie sich im Laufe des Winters immer noch steigert. Franzi macht insgesamt einen aufgeräumten Eindruck; das war schon in der Vorbereitung so. Für diese Saison habe ich ein sehr gutes Gefühl.

Franzis großes Ziel ist eine Medaille in einem Einzelrennen. Das haben Sie 2018 in Pyeongchang geschafft mit Silber im Massenstart. Können Sie Ihrer Freundin einen Ratschlag geben?

Franzi soll die Olympiarennen so nehmen wie jedes andere Rennen auch. Die Gegner sind die gleichen, auch der Wettkampfmodus. Wichtig ist, dass sie aus der gesamten Saison gute Ergebnisse mitbringt. Das nimmt einem ein bisschen den Druck und wenn du zuvor schon zu den Weltbesten gehörst, dann hast du auch die größten Chancen weitere Erfolge zu feiern. Und sie sollte nicht nur an die Medaille denken, sondern einfach versuchen, hundert Prozent zu bringen. Dann kommt die Medaille von alleine.

Momentan konzentrieren Sie sich ja ganz auf die Ausbildung zum Finanzexperten. Ist es denn ausgeschlossen, dass Sie eines Tages vielleicht doch wieder als Trainer in Biathlon-Szene auftauchen?

Das ist schwer zu sagen. Ich muss zugeben: Der Umgang mit dem Nachwuchs macht mir sehr viel Spaß. Ich war zuletzt auch bei ein paar Lehrgängen dabei, um an die Jungen meine Erfahrungen weiterzugeben. Aber ich will mich aber erst einmal persönlich weiterentwickeln. Das hat vorerst Vorrang. Ob es einmal einen Trainer Schempp geben wird, steht noch in den Sternen.

Interview: Armin Gibis

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