Oberstdorf – Als Severin Freund Montag Mittag auf die letzten Kilometer in Richtung Oberstdorf einbog, da hatte er ein breites Lächeln im Gesicht. Er hatte ihn schon wieder erfasst, dieser spezielle Zauber der Vierschanzentournee. „Ich freue mich wahnsinnig, dass ich wieder hier sein kann“, schwärmte er.
Er damit ja nicht unbedingt rechnen können. Nicht seit Bundestrainer Stefan Horngacher ihn zu Gunsten von Stephan Leyhe für den Weltcup-Auftakt in Nishni-Tagil fürs Erste aus seinem Aufgebot strich. Freund hat das ohne Groll gesehen, der würde zu dem immer freundlichen Münchner auch nicht passen. „Es ist einfach so, dass wir international das stärkste Team haben. Da ist es kein Selbstläufer, dabei zu sein“, sagte er, „und die Sechs ,die es geschafft haben, haben sich eindrucksvoll bestätigt.“ In der Tat: In die 70, Vierschanzentournee startet das deutsche Team heute als Spitzenreiter der Nationenwertung.
Wobei auch Freund sich eindrucksvoll bewiesen hat. Er musste weit abseits des Rampenlichts, im Continental Cup ran, der zweiten Liga der Skispringer. Wie das aussieht, konnte man auf seinem Instagram-Account erahnen, wo der 33-Jährige unter anderem eine Siegerehrung im düsteren Abseits postete. Im letzten Jahr war es keinem deutschen Athleten gelungen, von dort in Richtung Weltcup zu springen. Freund brauchte dafür nur zwei Stationen. Mit den Plätzen 3, 1, 4 und 8 in Vikersund und Ruka sprang er dem deutschen Team einen siebten Weltcup-Startplatz ein. Eine Leistung, vor der sich auch Horngacher tief verneigt. „Dort gibt es oft zu viel Anlauf und man muss extrem weit springen um zu gewinnen“, sagte er, „da habe ich sehr viel Respekt, wie er das als älterer Athlet mit zahlreichen Verletzungen gelöst hat.“
Und dem Tiroler kommt gerade Recht, dass ausgerechnet der Routinier wieder an Bord ist. Weil er damit pünktlich zum Highlight Tournee einen Mann an Bord hat, der seinem Team mehr geben kann als den ein oder anderen Sprung. Im Fußball würde man wohl sagen: Freund ist ein Mann für die Kabine. „Er ist nicht unbedingt ein Ratgeber, die Springer, die hier sind, machen das ja auch nicht zum ersten Mal“, sagte Karl Geiger, „aber er tut dem Team einfach gut. Es ist sehr, sehr gut, dass er da ist“ Horngacher fasst das in einem Satz zusammen: „Er ist unser Ruhepol.“
Weil Freund aber auch ein Athlet ist, zu dem die Kollegen aufschauen können. Immerhin ist er der Mann, der die Grundlagen für den neuen deutschen Skisprungboom gelegt hat. Freund war der erste deutsche Siegspringer nach der Ära von Martin Schmitt und Sven Hannawald. Aber dieser Severin Freund ist halt auch ein Beispiel, wie man mit Rückschlägen umgeht. Seit ihn 2016 eine Hüftblessur aus dem Skisprung-Himmel holte, hat Freund eine erschreckend lange Liste an Verletzungen und Operationen angesammelt – darunter unter anderem auch zwei Kreuzbandrisse. Doch er hat unerschütterlich weitergemacht, auch wenn es bislang nicht mehr für ganz vorne reichte. „Das zeigt seinen besonderen Charakter, was für Herausforderungen er annimmt.“
Die erste Belohnung hat er sich im Vorjahr mit Team-Gold bei der WM geholt. Freund hätte nichts dagegen, wenn bei der Tournee die zweite folgt. PATRICK REICHELT