Die Tage vor einer Vierschanzentournee haben meist ja so ihre Tücken. Drei Tage lang wird in Oberstdorf über das bevorstehende Highlight gesprochen. Und herauskommt in der Regel, dass es nicht viel aussagt, was eine Saison bis zum Trip ins Allgäu so mit sich brachte. Weil die Tournee einfach anders ist. Zwölf Sprünge sind, die Qualifikationen inklusive, binnen von zehn Tagen zu absolvieren. Daneben gehen darf eigentlich keiner von ihnen, wenn man am Dreikönigstag den goldenen Adler in den Abendhimmel von Bischofshofen stemmen will.
Das sportliche Zeug zum großen Coup haben viele. Doch wirklich Tourneesieger wird derjenige, so heißt es oft, der seine Gedanken abseits der Schanze am besten vom Rummel des Turniers befreien kann. Auch das ist eine Erklärung, warum seit 2002 kein Deutscher mehr in der Gesamtwertung triumphierte. Wie es auch gehen kann, hat nicht zuletzt Ryoyu Kobayashi 2018/19 vorgemacht. Der hochbegabte Japaner siegte auf der Schanze, ließ seinen Übersetzer einsilbige Antworten ausrichten und verschwand. Am Ende stand er als dritter Vierfachsieger nach Sven Hannawald (sein damaliges Motto: „Ich mach mein Zeug“) und Kamil Stoch da.
Kaum überraschend, dass der sportlich wiedererstarkte Kobayashi nun also wieder ganz oben auf der Favoritenliste steht. Höher noch als die „üblichen Verdächtigen“ wie Stoch, Stefan Kraft oder Halvor Egner Granerud, denen beim deutsch-österreichischen Schanzen-Spektakel natürlich auch alles zuzutrauen ist. Warum das so ist, zeigte er auch bei seinem Qualfikationssieg gestern. Kobayashi ist ein Athlet, dem auch Rückschläge, wie die Coronaerkrankung zu Beginn der Saison wenig anhaben können. Und vor allem weiß Kobayshi eben ziemlich genau, was er tun muss, um die Tournee zu gewinnen. Das ist auch der Vorteil des Japaners gegenüber seinem vermeintlichen Hauptwidersacher Karl Geiger, den er auch gestern knapp bezwang. Der Oberstdorfer hat vor allem im letzten Jahr diverse Male bewiesen, dass er ein Springer ist, der in großen Momenten voll da sein kann. An den zwölf großen Momenten zwischen Oberstdorf und Bischofshofen ist auch er bislang noch zerbrochen. Weil er sich halt doch den ein oder anderen Fehler zu viel erlaubte, um auf den Goldenen Adler hoffen zu dürfen.
Aber die Fehler sind weniger geworden, Geiger selbst n gelassener. Das könnte ihm bei der Tournee helfen.
patrick.reichelt@ovb.net