Sekt und Tränen

von Redaktion

Die Skirennfahrerin Lena Dürr etabliert sich in der Slalom-Elite und weiß jetzt: Eine Olympiamedaille ist in Reichweite

VON ELISABETH SCHLAMMERL

Schladming – An diesem Abend war von Lena Dürr nicht nur Präzision zwischen Toren gefordert. Nachdem die derzeit beste deutsche Skirennläuferin die vom Veranstalter überreichte Sektflasche entkorkt hatte, nahm sie die kleine deutsche Delegation in den blauen Anoraks ins Visier. Und da blieb anschließend keiner trocken, denn Dürr traf so gut, wie zuvor auf der Piste die ideale Linie. Dieser Abschluss des ersten Frauen-Slaloms im Weltcup auf der Schladminger Planai war nicht nur bei der Siegerehrung eine ziemlich feuchte Angelegenheit. Mikaela Shiffrin legte noch im Zielraum den Kopf auf die als Begrenzung dienende Matte und heulte hemmungslos. Die US-Amerikanerin hatte gerade Ingemar Stenmark abgelöst und ist nun die Skirennläuferin mit den meisten Siegen in einer Disziplin. In Schladming gewann sie zum 47. Mal im Slalom.

Ein paar Meter entfernt wischte Lena Dürr sich immer wieder über die feuchten Augen, als sie vom nächsten Kapitel der deutschen alpinen Familien-Geschichten berichtete. Nach Felix Neureuther und Josef Ferstl, die wie ihre Väter in Kitzbühel gewannen, setzte auch die 30-Jährige vom SV Germering die Tradition fort. Ihr Vater Peter war Ende Januar 1988 auf der Planai in Schladming Dritter in der Abfahrt geworden, sie wurde nun am Dienstag Dritte im Torlauf. „Es macht mich stolz, es dem Papa nachmachen zu können“, sagte sie. Zudem sei es „so cool, der Familie, die immer für mich da war, egal, wie schlecht es die letzten Jahre lief, etwas zurückzugeben“.

Peter Dürr war damals knapp 28, als er seinen einzigen Podestplatz erreichte. Tochter Lena hat noch etwas länger gebraucht, bis sie im Slalom dort angekommen ist, wo ihr Vater in der Abfahrt einst einmal gewesen ist, aber dafür hat sie sich etabliert ganz oben. Mit 30 fährt sie nach drei 3. Plätzen in diesem Winter nun als Medaillenkandidatin zu den Olympia, wenngleich sie das Ereignis in Peking an dem emotionalen Abend in Schladming noch nicht so richtig im Kopf hat. „Zumindest ist es in Reichweite“, sagte sie und meint eine Medaille. „Und es ist realistischer, als es vor vier Jahren war“. 2018 war sie mit einem einzigen Top-Ten-Resultat in Südkorea angetreten – und im ersten Durchgang ausgeschieden.

Dieses Mal startet sie als Dritte des Slalom-Weltcups bei ihren zweiten Winterspielen. „Es macht einfach Spaß. Es ist gerade leichtes Skifahren, und das habe ich mir in den letzten Jahren einfach nicht zugetraut“, sagt Lena Dürr. Ganze Trainer-Generationen waren daran gescheitert, aus dem Talent eine Slalomläuferin auf höchstem Niveau zu entwickeln. Die Wende brachte eine kurze Kader-Auszeit vor knapp vier Jahren, die Frauen-Cheftrainer Jürgen Graller vorgeschlagen hatte. „Wir haben gesagt: Wir wollen dich nicht weghaben, aber probier’ mal deinen eigenen Weg.“ Dieser „neue Reiz, sich selbst vorbereiten und finanzieren zu müssen“ habe Dürr geprägt, findet Graller. „Sie schätzt Dinge jetzt anders; gewisse Sachen sind einfach keine Selbstverständlichkeit mehr für sie.“

In diesem Winter hat Dürr endliche die letzten und „die richtigen Puzzleteile“, wie sie sagt, gefunden. Fünfmal in sieben Slaloms war Dürr unten den besten Fünf; Graller sieht seine Top-Athletin gut präpariert für Olympia. „Grundsätzlich hat sie alles im Griff“, sagt er. Keine schlechten Aussichten für Peking also.

Artikel 1 von 11