München – Henning Fritz, zu aktiven Zeiten auch „der Hexer“ genannt, war einer der überragenden Figuren der Handball-WM 2007. Mit seinen Paraden über das gesamte Heimturnier hatte der Torwart großen Anteil am Titelgewinn. 2004 wurde der gebürtige Magdeburger als erster Torhüter als Welthandballer ausgezeichnet. Vor dem heutigen Start der Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei sprach der 47-Jährige mit unserer Zeitung über die deutschen Chancen und seinen Nachfolger im Tor, Andreas Wolff.
Der 35:34-Sieg im Testspiel gegen Frankreich sorgt für reichlich Optimismus im Hinblick auf die EM. Was hat ihnen an der deutschen Mannschaft gefallen?
Es waren viele Dinge, die aus meiner Sicht gut gelaufen sind. Wichtig war, dass es der Mannschaft gelungen ist, gerade in der zweiten Halbzeit die Franzosen im Angriff zu mehr Fehlern zu zwingen und diese selber dann auch gut zu nutzen durch Gegenstoßtore. Außerdem hat das Zusammenspiel in der zweiten Halbzeit zwischen Abwehr und Torwart sehr, sehr gut funktioniert, und das sollte der Mannschaft den Mut geben, gut in das Turnier zu gehen.
Was ist mit diesem Rückenwind nun möglich?
Ich bin kein Freund von Prognosen im Vorfeld. Mein Wunsch wäre, dass die Mannschaft sich im Turnier Schritt für Schritt entwickelt und ihre Leistung vor allem in der Abwehr abrufen kann.
Worauf kommt es bei guter Abwehrarbeit besonders an?
Abwehr hat nichts mit Talent zu tun, sondern mit Bereitschaft, Leidenschaft und mit Freude am Spiel. Wenn das und das Zusammenspiel mit dem Torwart gut funktioniert, kann man viel kompensieren. Das haben erfolgreiche Nationen wie Frankreich und Dänemark in den letzten Jahren auch gezeigt.
Ein Novum für die Nationalmannschaft ist die 3:2:1 Abwehr, bei der nicht nur um den Kreis verteidigt wird, sondern mit drei Spielern aggressiver und weiter vorne. Was halten Sie von diesem System?
Ich halte es immer für gut, Alternativen zu haben. Denn das macht einen für gegnerische Mannschaften schwer ausrechenbar. Ich glaube, dass wenn man hier eine gute Lösung und gute junge Spieler hat, die in einer 3:2:1-Abwehr eine gewisse Kreativität und Individualität entfalten, dann ist eine funktionierende Abwehr sehr, sehr schwer zu bespielen. Sie dann in gewissen Spielsituationen punktuell einzubauen, halte ich für eine super Alternative zur klassischen 6:0-Defensivformation.
Aus Torwartsicht ist die 3:2:1 Abwehr aber eine ziemliche Herausforderung, da man noch aufmerksamer agieren muss…
Gar keine Frage, diese Abwehr muss dann schon funktionieren. Erfahrene Mannschaften können sehr clever auf solche Verteidigung reagieren. Das ist natürlich immer ein Risiko, aber gut – wo ist kein Risiko?
Abgesehen davon, schwerer ausrechenbar zu sein, wo ist der Vorteil?
Es geht darum, den Gegner zu Fehlern zu zwingen. Außerdem haben wir dann die Situation, dass viele Würfe eher über die Außenpositionen kommen oder vom Kreis. Das kann wiederum eine Möglichkeit sein, wenn die Torhüter im Moment gute Lösungen dafür haben. Oder wenn der gegnerische Rückraum zu stark ist, kann man die Werfer so aus dem Spiel nehmen und die Torhüter ins Spiel bringen.
Was können wir von Andreas Wolff im Tor erwarten? Nach der überragenden EM 2016 waren seine Leistungen im deutschen Tor ja schwankend…
Auch da sind Prognosen immer schwer. Aber die Rahmenbedingungen würde ich als gegeben sehen. Ich kann mir vorstellen, dass es für ihn keine leichte Situation war mit zwei erfahrenen und erfolgreichen Torhütern neben sich, dass erhöht natürlich auch den Druck (Johannes Bitter und Silvio Heinevetter sind bei dieser EM nicht im Kader, Anm. d. Red.). Ich glaube, in der internen aber auch externen Bewertung der Situation sollte klar sein, dass er die Nummer 1 ist. Die beiden letzten Spiele sollten sein Selbstbewusstsein auch noch mal gestärkt haben, damit er mit geschwellter Brust in dieses Turnier gehen kann, und das wollen wir ja alle.
Ist es gut, dass der vermeintlich schwerste Gruppengegner Polen am Ende kommt?
Das kann man so interpretieren. Wichtig ist einfach, dass die deutsche Mannschaft ihr Potenzial abruft, vor allem in der Abwehr, dann brauchen wir keine Angst zu haben vor irgendeiner Mannschaft dieser Gruppe. Dafür ist die Qualität der deutschen Mannschaft einfach zu stark. Problematisch wird es immer dann, wenn wir keine Lösungen haben für die Situation und Unsicherheit reinkommt. Dann kann jede europäische Mannschaft einen zum Wackeln bringen. Dass Polen zum Ende kommt, kann von Vorteil sein, wir werden sehen.
Interview: Thomas Jensen