München – Am Mittwoch fliegen die Speedfahrer des deutschen Ski-Alpin-Teams nach Peking. Es ist eine Reise ins Ungewisse, denn noch gibt es nur spärliche Kenntnisse über die Pisten, auf denen bald olympische Helden geboren werden sollen. Unsere Zeitung hat mit Charly Waibel, dem Bundestrainer Technik und Wissenschaft des DSV, gesprochen. Er verbrachte bereits einige Zeit in China, um die Bedingungen zu analysieren. Diese sind weder einfach, noch ganz ungefährlich, wie der 55-Jährige ausführt.
Herr Waibel, Sie waren Anfang Dezember für eine Woche in China, um sich die Schneebedingungen anzuschauen. Wo waren Sie genau?
Ich war an der Skisprungschanze und den Strecken der Nordischen Kombination, als Testwettkämpfe stattfanden. Den nordischen Bereich kenne ich jetzt. Zu den Anlagen der Alpinen hat noch keiner Zugang bekommen.
Wobei Sie diese sicher auch gerne besucht hätten.
Man durfte eben nur dorthin, wo man hingeführt wurde, und das waren die Testwettkämpfe für Kombination und Skisprung. Man fährt am alpinen Gebiet vorbei, eine gute Stunde vor dem nordischen Bereich, man sieht auch ungefähr, wo es ist, aber man hat keine Möglichkeit, da hinzufahren – man darf sich nur in dieser Bubble bewegen, ein sehr begrenzter Bereich.
Lassen die Erkenntnisse, die Sie gewonnen haben, trotzdem Rückschlüsse auf die Wettkampfstätten zu, die etwas entfernt liegen?
Das lässt sich schwer sagen. Grundsätzlich ist es die gleiche Klimazone und es ist ein ähnliches Gebirge, also von dem her kann man es vermuten. Aber es kann beispielsweise sein, dass unterschiedliches Wasser zur Schneeherstellung verwendet wird und damit die Eigenschaften des Schnees unterschiedlich sind. Aber wir gehen davon aus, dass es grundsätzlich schon ganz ähnliche Bedingungen sein werden: kalt in der Nacht und generell windig. Aber genau wissen wir es nur vom nordischen Bereich, da war zwischen Weihnachten und Neujahr auch noch mal eine Abordnung an der Biathlonstrecke, wo die IBU die Möglichkeit gegeben hat, dass Skitester und Techniker, wenn auch keine Athleten, hinkonnten.
Welche Daten haben Sie mitgenommen?
Das ist keine Datenflut, in erster Linie sind es sehr konkrete Ergebnisse von Skitests. Man testet Wachse und Beschichtungen aller Art und misst Schneetemperatur und Schneekörnung, auch wenn das alles Kunstschnee ist. Aber die Frage ist, wie schaut der aus? Außerdem werden auch Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit gemessen und wir haben Schneeproben beziehungsweise Wasserproben mitgenommen und analysieren lassen.
Worauf genau?
Auf irgendwelche besonderen Zusatzstoffe, ob das Wasser so anders ist, dass es sich möglicherweise vom Schnee her anders anfühlt und man das bei der Bearbeitung der Laufflächen berücksichtigen muss. Oder auch wie schmutzig der Schnee ist, da gab es ja im Vorfeld wilde Gerüchte, wo das Wasser herkommt. Und es ist tatsächlich so, dass der Wind von den umliegenden Flächen, die ja nur spärlich bewachsen sind, Erde und Staub einträgt.
Ein Problem?
Das kennen wir noch von Pyeongchang, wo der Wind Sand von einem Golfplatz auf die Pisten getragen hat. Im Extremfall hieße das, dass man vielleicht bei Schliffen noch mal was verändern muss. Außerdem ist es so, dass der Schnee, sobald er mal festgewalzt ist, eine ganz eigenartige Konsistenz entwickelt, wenn der Wind permanent drüber pfeift. Das trocknet den Schnee so aus und macht ihn auch teilweise aggressiv, aber das haben wir in Pyeongchang in der Art und Weise auch schon festgestellt.
Heißt aber, dass sich der Trip zumindest für die Nordischen Disziplinen schon mal gelohnt hat, denn das klingt nach deutlich anderen Bedingungen als man sie aus dem Weltcup kennt…
Ja – aber wir hätten eigentlich gedacht, dass es noch deutlich anders ist und wir mehr Besonderheiten finden. Auch wenn ich jetzt nicht alle Erkenntnisse im Detail ausbreiten werde (lacht). Vieles hängt letztendlich vom aktuellen Wetter ab, wenn es losgeht, aber einen ersten Eindruck haben wir jetzt zumindest, nachdem es die letzten zwei Jahre ja leider schwer möglich war, rüberzuschauen.
Da das für die Alpinen nicht möglich war, wird es dann stressig, sobald Olympia startet?
Das wird allerdings stressig. Wir müssen uns auf die Trainingsfahrten konzentrieren, es gibt ja nicht mal Teststrecken und die würden schon helfen, wenn es darum geht, wie die Skier auf diesen sehr aggressiven Schnee reagieren. Wir haben schon in Pyeongchang erlebt, dass der Belag im kantennahen Bereich verbrennt.
Verbrennt?
Es entstehen bei diesen Geschwindigkeiten so hohe Temperaturen, dass der Belag richtig Blasen wirft und verbrennt. Wenn das passiert, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, weil so einen Ski dann wieder fahrtauglich zu machen, ist ein riesiger Aufwand. Die schnellsten Skier aus dem Weltcup – mit den dünnsten Kanten – werden bei Olympia vermutlich gar nicht gefahren. Bei denen mit einer etwas stärkeren Kante wird der Belag nicht beschädigt. Allerdings ist das auch ein Aspekt, was die Sicherheit angeht und nicht nur die sportliche Leistung.
Inwiefern?
Wenn der Belag neben der Kante verbrennt, hat der Fahrer überhaupt keinen Grip mehr. Bei hohen Geschwindigkeiten ist das natürlich gefährlich. Auch deswegen werden die Skier mit den dünnen Kanten vermutlich nicht im Einsatz sein.
Da der ganze Weltcup ohne richtige Vorkenntnisse hinfährt, ist es dann auch ein bisschen Glücksache, welcher Athlet am schnellsten den richtigen Ski erwischt?
Ach, ein bisschen Glück braucht man im Sport immer. Aber ich sage mal so, die gut abgestimmten Teams, also Athleten und Techniker, die haben schon noch ein paar Pfeile im Köcher.
Zum Schluss noch ein anderes Thema: Anfang des Winters hat es für Schlagzeilen gesorgt, dass sich der DSV in Hinblick auf die China-Reise beim BND erkundigt hat. Es ging darum, sensible Daten, also auch technisch wichtige Daten, zu schützen. Fühlen Sie sich darauf jetzt gut vorbereitet?
Vor den Bedrohungen, die wir kennen, fühlen wir uns geschützt. Es ist schon Wahnsinn, dass man um diese Themen weiß und dann so viele Leute da hinschickt. Laptops von Mitarbeitern beispielsweise, die bei den Spielen verwendet werden, gehen bei uns dann nicht mehr ans Netz, das ist klar. Aber man muss sagen: Die Daten, die es bei uns zu klauen gibt, bringen einem gar nicht so viel, wenn man nicht Insider ist. Zum Beispiel benennen wir unsere Wachse mit Abkürzungen, die Außenstehenden nichts sagen. Es bringt einem dann nichts, zu wissen, dass diese oder jene Buchstabenkombination bei diesen Bedingungen gut gelaufen ist.
Interview: Thomas Jensen