Hätten die Deutschen das Spiel gegen Schweden gewinnen können? Ja, eindeutig! Ist die EM nach dem verpassten Halbfinale eine Enttäuschung? Nein, sicher nicht! Dafür, dass der DHB die mit Abstand meisten Corona-Fälle im Turnier hat, muss sich der Verband unangenehme Fragen stellen lassen. Aber der Art und Weise, wie die Delegation mit dieser skurrilen Situation umgegangen ist, gebührt Respekt.
Als Ausrede für die Niederlagen wurden die vielen Ausfälle nie herangezogen. Wehklagen hat man von den einsatzfähigen Spielern genauso wenig gehört wie von Bundestrainer Alfred Gislason. Die isolierten Teamkollegen grüßten regelmäßig und fröhlich mit Video-Telefonaten aus den Hotelzimmern. Intern eröffnete man immer wieder neue Whatsapp-Gruppen, unter anderem mit dem passenden Namen die „Positivos“ – Selbstironie ist Trumpf. Sogar bei den Essenslieferungen ließ man sich von den übertragenden TV-Sendern begleiten. Man stelle sich das mal übertragen auf den DFB und die WM in Katar vor. „Hey Leroy, vom Fisch bitte zwei Stücke. Liebe Grüße, Thomas.“ Irgendwie kaum denkbar.
Mitreißend war auch die bedingungslose Bereitschaft der zehn Nachnominierten. Torwart Jogi Bitter zum Beispiel ließ seine Freundin Anna Loerper nebst gerade geborenem Kind zurück. Oder Sebastian Firnhaber: Der Kreisläufer kam, spielte nicht, wurde positiv und reiste schon vor dem Schweden-Spiel wieder ab. Zweitliga-Spieler Hendrik Wagner riskierte gar seine Gesundheit und lief nach überstandener Infektion auf – bevor ihn Atemprobleme schnell stoppten.
Dass die Europäische Handballföderation (EHF) die vielen Nachrücker als „unglaublich schöne Geschichten“ verkaufen will, die die Attraktivität des Turniers steigern, ist aber natürlich Humbug. Die durch die Terminhatz im Handball teilweise ohnehin schon zerrupften Nationalmannschaften – Bitter, Drux und Wiede hatten beim DHB aus persönlichen Gründen eigentlich verzichtet – wurden durch Corona weiter geschwächt. Zu behaupten, dass das keinen Einfluss auf den sportlichen Ausgang der EM hätte, wäre vermessen. Im Bezug auf den DHB gehört es aber auch zur Realität, dass es selbst mit null Infizierten, das haben die ersten beiden Spiele gegen Belarus und Österreich gezeigt, wohl nicht für ganz oben gereicht hätte.
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