Die Älteren unter uns werden sich erinnern, als wir, so Anfang der 80er-Jahre, ein bisschen davon geträumt haben, unsere tägliche Arbeit nicht mehr nur im Büro, sondern dort verrichten zu können, wo wir gerade wollen. War natürlich Spinnerei, damals. Heute aber nicht mehr utopisch. Dank schnellem Internet könn(t)en wir jetzt unser Domizil fast überall aufschlagen, im Winter vielleicht an der Costa del Sol, im Sommer auf Sylt. Ohne dafür den Job wechseln zu müssen.
Warum also nicht Doha? Dorthin hat es Gianni Infantino gezogen, den mächtigen Boss des Fußball-Weltverbandes FIFA. Samt Familie mit zwei schulpflichtigen Kindern hat er seinen Wohnsitz aus der Schweiz in den Wüstenstaat verlegt. Klingt erst mal ziemlich verrückt, da doch die FIFA in Zürich residiert. Ist aber heute kein Problem mehr, Infantino ist ein Mann von Welt, per Videokonferenz lässt sich der Verband auch aus Katar führen, und in dringenden Fällen leiht ihm sicher der Emir seinen Privatjet. Infantinos Kontakte in die Herrscherfamilie sollen richtig gut sein, nicht erst seit Katar, nicht größer als Niederbayern, die Fußball-WM zugesprochen bekam.
Das kann aber sicher nicht der alleinige Grund für Infantinos Ortswechsel sein. Nun ja, die Schweiz hat zuletzt nicht immer gewürdigt, welch großartigen Menschen sie mit Infantino beherbergen darf. Die Justizbehörden ermitteln immer mal wieder gegen ihn. Aber dass sich Infantino nun wie ein Flüchtling verhalte, was ihm Vorgänger Blatter unterstellt, ist natürlich absoluter Unsinn. Das hat doch ein FIFA-Präsident, der gute Freunde auch in der Staatsanwaltschaft hat, nun wirklich nicht nötig.
Und kann es denn schaden, wenn er in Katar direkt vor Ort ist, wenn es gilt, die letzten Vorbereitungen zu treffen? Zumal er damit auch ein Zeichen setzt. Und allen zeigt, dass Katar durchaus ein Staat ist, in dem sich leben lässt. Vor allem, wenn man mehr Kohle als Gewissen hat und die Augen vor der oft traurigen Realität so fest verschließt wie einst Franz Beckenbauer, der in Katar keinen einzigen Sklaven gesehen hat. Keinen, der in Ketten gefesselt war oder Büßerkappen auf dem Kopf gehabt hätte. Alles nur blödes Gerede, von wegen Menschenrechtsverletzungen und so. Und sollte wirklich was sein, jetzt kann sich der FIFA-Boss persönlich kümmern.
Nun ist es sicher nicht so, dass er künftig immer seinen Wohnsitz in das Land verlegen wird, das die nächste WM ausrichtet. 2026 soll sie ja in Mexiko, den USA und Kanada stattfinden, schwierig, sich da für einen Ort zu entscheiden. Für die übernächste aber hört man gerüchteweise von einer gemeinsamen Veranstaltung mehrerer Emirate mit Israel. Das hätte was, Infantino könnte in Doha wohnen bleiben und sein Lebenswerk mit dem Friedensnobelpreis krönen. Den muss er doch kriegen, wenn er tatsächlich ein Turnier mit diesen Protagonisten auf die Beine stellt. Aber was ist unmöglich für einen wie Infantino?
Den Thomas Bach würde das allerdings wurmen. Der hat als IOC-Präsident schon fast mal Süd- und Nordkorea versöhnt, mit Olympia 2014 beinahe Putins Annexion der Krim verhindert und ist auch sonst im ständigen Einsatz für Recht und Frieden auf der Welt. Nur schade, dass er nicht auf die Idee gekommen ist, rechtzeitig vor den nun beginnenden Winterspielen seinen Wohnsitz nach Peking zu verlegen. Dann wäre sein Treffen mit der verschwundenen Tennisspielerin Peng Shuai nicht nur per Video möglich gewesen, er hätte sich vor Ort für Hongkong, Tibet und die Uiguren einsetzen und überhaupt den Machthabern Chinas verdeutlichen können, was die westliche Welt unter Recht und Freiheit versteht.
Genau so, wie es jetzt Infantino bei den Kataris tut. Ganz bestimmt. Oder?
Das Rennen um den Friedensnobelpreis: FIFA-Infantino hängt den IOC-Boss ab