München – Zu den Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang hat Klaus Zeyringer (69) das Buch „Olympische Spiele. Eine Kulturgeschichte von 1896 bis heute“ (S. Fischer Verlag) herausgebracht. Im Interview mit unserer Zeitung spricht der Germanist über die Struktur des IOC, die Rolle von Thomas Bach und erste Werbeverträge bei Olympia.
Herr Zeyringer, Olympia und Kommerz – wann hat das angefangen?
Ich habe mir sämtliche Protokolle von IOC-Sitzungen durchgelesen. 1956 bei den Winterspielen in Cortina d‘ Ampezzo hat man sich das erste Mal überlegt, dass man für die Medienrechte Geld verlangen könnte. Erst 1960 in Rom erhielt dann das IOC 40 000 Dollar, also nichts im Vergleich zu der heutigen Zeit. Damals in Rom beschäftigte sich das IOC das erste Mal intensiver mit Werbung. Der große Sprung zur Kommerzialisierung kam aber erst 20 bis 30 Jahre später mit Juan Antonio Samaranch als IOC-Präsidenten. Während Lord Killanin noch den Amateurstatus verteidigte, öffnete Samaranch Olympia dann auch für Profisportler und schmiss die Geldmaschine an. Zu der Zeit entstanden auch die ersten größeren Deals mit Firmen wie Adidas.
In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich auch mit den Host City Contracts. Was hat es damit auf sich?
Mit den Host City Contracts treten Länder Hoheitsrechte an Vereine, in dem Fall das IOC, ab. Ich habe mir das im Detail für die Olympischen Spiele 2026 in Mailand und Cortina d´Ampezzo angesehen. Eine Bedingung ist, dass vom IOC genannte Personen ohne Weiteres einreisen dürfen. Hier wird also das Hoheitsrecht der Grenzsicherung abgetreten. Auch die Arbeitsrechte, Medienrechte und Demonstrationsrechte werden vom IOC außer Kraft gesetzt. Zudem müssen die Verbände vier Jahre vor und ein Jahr nach den Spielen im Austragungsland keine Steuer zahlen. Das halte ich für wahrhaftig skandalös.
Was ist das IOC eigentlich genau für ein Konstrukt?
Das IOC gehört zu den Verbänden, die sich als Institution verstehen, aber nach Schweizer Vereinsrecht funktionieren. Offiziell ist das IOC ein gemeinnütziger Verein, der keinen Gewinn machen darf. Beim IOC ist es wie an einer Tafelrunde, wenn ein Platz mal frei wird, wird er vom Verband selbst nachbesetzt. Das ist eine Struktur, die keine anderen Sichtweisen außer der eigenen, und nur sehr wenig Kontrolle von außen zulässt. Das IOC wird kaum reglementiert, es kann nach eigenen Regeln schalten und walten, wie es möchte. Im Inneren gibt es eine hierarchische, autoritäre Struktur. Es gibt keine Opposition. In der Satzung des Verbandes findet sich der bemerkenswerte Satz: „Die Beschlüsse des IOC sind endgültig.“
Also kein Mitspracherecht für Sportler?
Es gibt eine Athletenvertretung, da werden aber meist nur sehr nette Sportler reingewählt. Intensive Kritik am IOC ist da nicht vorgesehen, Mitspracherecht sowieso nicht. Das IOC bewegt sich abseits der gesellschaftlichen Regeln in einer eigenen Blase. In der Blase ist es wohl legitim, Spiele in Länder wie China zu vergeben. Sportverbände meinen, sie stünden außerhalb der Gesellschaft. Sie behaupten, dass sie in den Ländern etwas bewirken. Damit belügen sie sich natürlich nur selbst. Im Endeffekt geht es um das große Geld. Viele Vertreter autoritärer Staaten sind Mitglieder beim IOC. Generell, wenn man sich die Mitgliederliste des IOC über die Jahre anschaut, findet man viele Kriminelle. Solche Strukturen führen zu Korruption und Machtmissbrauch. Das IOC schafft sich eine Parallelwelt: 2014 bei den Olympischen Spielen in Sotschi stellt sich Thomas Bach bei der Abschlussrede hin und sagt, wie toll die Spiele doch für die Völkerverständigung waren. Wenig später sind die Russen dann auf der Krim einmarschiert.
Wie nehmen Sie Thomas Bach wahr?
Bach ist ein Egomane, der sich gerne mit den Mächtigen der Welt zeigt. Weil er dann das Gefühl hat, dass er über allem steht. Bach ist ein Spezialist im Fassadenschwindel. Das hat auch das gestellte Gespräch mit Peng Shuai gezeigt. Immer werden Ausreden dafür gefunden, um Missstände zu relativieren oder sogar zu verdecken.
Wie viel Begeisterung bleibt da bei Ihnen noch für Olympia?
Durch die fehlenden Zuschauer werden die Olympischen Spiele natürlich von vornherein entkleidet. Das Ambiente, die Emotionen durch die Masse, das macht doch einen großen Reiz aus. Zudem sind oft nicht alle der besten Sportler dabei, weil es eine Beschränkung pro Land gibt. Auf der anderen Seite kommen immer mehr Wettbewerbe hinzu, um das Spektakel künstlich aufzublasen. Da fällt die Faszination immer ein Stück mehr ab.
Interview: Nico-Marius Schmitz