München – Die Olympia-Reise von Martin Schmitt endete diesmal nach ein paar Stunden Autofahrt. In Unterföhring wird der Eurosport-Experte in den beiden nächsten Wochen sein Lager aufschlagen. Böse ist er darüber nicht. Schon gar nicht in Zeiten der Pandemie. „Ich denke, hier ist die Situation doch besser unter Kontrolle“, sagte er.
Wobei der einstige Ausnahme-Skispringer auch zum Olympia-Ausrichter ein gespaltenes Verhältnis hat. Der überbordende Gigantismus der Spiele, die Situation der Menschenrechte in China – das seien Diskussionen, die man führen müsse. Sich wie IOC-Chef Thomas Bach dahinter zu verstecken, dass Sport nicht politisch sei, „damit macht man es sich zu einfach“, betonte Schmitt.
Wobei der 44-Jährige die Athleten ausdrücklich aus der Verantwortung nimmt. Vor allem seine einstigen Kollegen im Skispringen. Es ist ja kein Geheimnis, dass die Weitenjagd von der Schanze eine Disziplin ist, bei der ein freier Kopf wesentlich über Erfolg und Misserfolg entscheidet. „Nebenkriegsschauplätze“, sagte Schmitt, „kannst du da nicht brauchen. Schon gar nicht bei so einem Großereignis, auf das du lange hingearbeitet hast.“
Was auch und gerade für die deutschen Springer gilt. In Karl Geiger und Markus Eisenbichler hat Bundestrainer Stefan Horngacher gleich zwei Athleten in seinen Reihen, die offen mit Edelmetall liebäugeln. Wobei Schmitt vor allem Geiger ganz oben auf der Rechnung hat. „Auch wenn er das gelbe Trikot in Peking nicht tragen darf“, sagte Schmitt, „er ist der Führende im Weltcup und das wirst du nicht durch einen kurzen Lauf. Er ist in einer tollen Form und muss niemanden fürchten.“ Viel könne davon abhängen, wie der Oberstdorfer beim Auftakt am Sonntag von der kleinen Schanze aus den Startlöchern kommt. „Wenn du da Erfolg hast, dann kann dich das schon tragen.“ So wie es 2018 Andreas Wellinger passiert sei, der nach seinem Überraschungssieg auf der kleinen Schanze auch noch Silber auf der großen holte.
Zumindest kritisch sieht Schmitt indes die Nominierung von Pius Paschke. Der gebürtige Münchner ist nach vielversprechendem Saisonstart seit Wochen aus dem Tritt. Schmitt traut es Horngacher zu, Paschke vor Ort noch in Form zu bringen, „aber es darf auch keiner überrascht sein, wenn es nicht klappt.“
Alternativ hätte der Schwarzwälder eine Nominierung von Andreas Wellinger länger offengehalten. Der Ruhpoldinger hatte das letztlich entscheidende Springen in Titisee-Neustadt ja wegen eines positiven Corona-Tests verpasst. Auch Severin Freund wäre für ihn eine sinnvolle Option gewesen, auch wenn der stetig besser in Form kommende Münchner bis zur Nominierung die geforderte Norm nicht erfüllt hatte. „Ich weiß nicht, ob man da so starr sein muss“, sagte Schmitt.
Die sportlichen Erfahrungen des heutigen TV-Experten mit Olympia waren übrigens gemischt. 1998 kam für ihn zu früh, 2006 oder 2010 hatte er nicht mehr die Form. Salt Lake City 2002 wäre „für mich gemacht gewesen“, doch er reiste mit Knieproblemen an und konnte nur beim Gold-Coup im Teamwettbewerb seine ganze Klasse jener Tage zeigen.
Ansonsten ist Martin Schmitt ein Mann mit Olympia-Nostalgie. Denkt er zurück, denkt er gerne an 1994, die Spiele in Lillehammer, die er mit 16 vor dem Fernseher verfolgte. „Die Begeisterung der Norweger zu sehen, das war überragend“, sagte er, „es wäre schön, wenn sich Olympia irgendwann wieder in diese Richtung entwickeln würde.“